Elf neue Spieler und vier Trainer - sportlich ging's einmal mehr drunter und drüber in der Spielzeit 1984/85. Am 19. Juli 1984 löste Karl Heckl Ritchie Müller als Präsident ab. Mit dem Bauunternehmer begann eine Ära, in der viel Geld in den Sand gesetzt wurde. Am Ende sprang ein enttäuschender 11. Platz, noch hinter Ampfing, Frohnlach und Landshut heraus.
Drei Jahre nach dem Lizenzentzug drohte dem TSV 1860 der absolute Super-Gau: Der Abstieg in die Landesliga. Es war eine Saison zum Davonlaufen. Vier Trainer wurden beschäftigt, elf neue Spieler waren geholt worden, jeder Funktionär machte seine eigenen Verpflichtungen. Die Folge: absolutes Chaos.
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Der Shootingstar der vorangegangenen Saison, Ludwig „Wiggerl“ Kögl war zum Lokalrivalen FC Bayern gewechselt. Die Querelen in der Führungsebene hatten zugenommen. Zwischen Präsident Ritchie Müller und Schatzmeister Peter Englert krachte es gewaltig. Auf der außerordentlichen Delegiertenversammlung am 19. Juli 1984 wurde dann der Bauunternehmer Karl Heckl, nachdem Müller seine neuerliche Kandidatur zurückgezogen hatte, zum neuen Präsidenten gewählt.
Der neue Präsident machte sich für eine konsequente Fortsetzung der Sanierung stark, bezahlte Steuerschulden und ausstehende Rechnung aus eigener Tasche und leitete die Modernisierung des Trainingsgeländes an der Grünwalder Straße 114 ein.
Einmal mehr hatte im Sommer ein Kommen und Gehen stattgefunden. Von den Neuzugängen Günther Stockinger, Kur Kachschmid, Bernd Krech, Reiner Adrion, Michael Mösle, Gerhard Brauer, Stefan Hahn, Ferdinand Rudolphi, Reiner Leitl und den aus der eigenen Jugend aufgerückten Alfred Buchberger, Christian Mock, Stefan Hafer, Günther Brunner, Stefan Heigenhauser und Michael Karl sollten aber nur Leitl und Karl sich als Verstärkungen erweisen. Wieder war mehr Masse als Klasse darunter.
Das Ziel war nach der Bayernliga-Meisterschaft in der Vor-Saison der Aufstieg. Doch davon mussten sich die Löwen recht schnell verabschieden. Nach fünf Unentschieden in den ersten sechs Spielen – nur gegen den FC Wacker gelang ein 3:0-Heimerfolg – setzte es vier Niederlagen am Stück. Nach dem 10. Spieltag stand der TSV 1860 mit 7:13-Punkten nur dank des besseren Torverhältnisses nicht auf einem Abstiegsplatz.
Bernd Patzke musste zur Oktoberfest-Zeit als Trainer gehen. Sein Nachfolger wurde Oktavian Popescu, ein Rumäne, der bis dahin die Jugend trainiert hatte. Bei ihm allerdings schlief der ein oder andere Spieler in der Tat manchmal ein – eineinhalb Stunden Theorie an der Tafel waren zu viel.
Dann übernahm für kurze Zeit Erich Beer das Ruder, aber nach wenigen Wochen schickte Heckl auch ihn zum Teufel. Auf der Weihnachtsfeier in der „Emmeramsmühle“ stellte Heckl in seiner Rede fest: „Mit dem Beer bleiben wir 20 Jahre in der Bayernliga.“ Der Ex-Nationalspieler verließ empört die Feier und übernahm das Traineramt bei der SpVgg Bayreuth. Die stieg ein halbes Jahr später in die 2. Bundesliga auf.
Zur Winterpause nach 20 Spielen lagen die Löwen mit 19:21-Punkten im Mittelfeld, zwölf Zähler hinter Tabellenführer Bayreuth, aber nur fünf vor einem Abstiegsplatz. Der vierte Trainer, der wie im Jahr zuvor eine Aufholjagd mit der Mannschaft starten sollte, war ein alter Bekannter: Wenzel Halama. Doch auch er sah sich Riesenproblemen gegenüber. Nach einem 1:3 zu Hause gegen den ESV Ingolstadt am 12. April 1985 drohte dem TSV 1860 allen Ernstes der Abstieg in die Landesliga. Helmut Schmitz, der damals mit sieben Treffern als Libero Torschützenkönig bei den Löwen wurde: „Hätten wir anschließend nicht mit 2:1 in Bamberg gewonnen, wär’s ganz eng geworden.“
Am Ende landeten die Löwen auf Platz elf, hinter Klubs wie TSV Ampfing, VfL Frohnlach und SpVgg Landshut, die man Jahre zuvor noch müde belächelt hätte. Auch von den Zuschauern her erlebten die Sechzger ein Desaster. In keinem Spiel konnte man eine fünfstellige Besucherzahl im Grünwalder Stadion begrüßen. Nach dem dritten Jahr in der Bayernliga verloren die Fans langsam die Geduld. Einziger Lichtblick: Über den BFV-Pokal konnten sich die Löwen wenigstens für die Hauptrunde im DFB-Pokal qualifizieren.
KURIOSES
Präsident wider Willen
Es war wieder mal einer jener Wahlabende beim TSV 1860, die jedem Auftritt des Komödienstadels standhalten hätten können. Am 19. Juli 1984 wurde im Saal des Vereinsheims an der Auenstraße die zwei Jahre dauernde Ära des Präsidenten Ritchie Müller beendet. Wochenlang schon war der schwerreiche Münchner Bauunternehmer Karl Heckl als Löwen-Präsident im Gespräch, aber er erklärte immer wieder, dass er eigentlich keine große Lust verspüre, das Amt zu übernehmen. Schatzmeister Peter Englert ließ jedoch nie locker. Schließlich hatte er den 57-Jährigen weichgekocht, Heckl trat an. Völlig überraschend für alle Delegierten, schließlich hatte Englert zuvor noch beteuert, dass Heckl nicht zur Verfügung stehe. Müller war mit den Nerven so am Ende, dass er sich gleich gar nicht mehr zur Wahl stellte und so blieb nur noch Udo Lutz von der Leichtathletik-Abteilung als Gegenkandidat von Heckl übrig. Dieser gewann die Wahl schließlich alles andere als mit Glanz und Gloria. 57 Delegierte stimmten für Heckl, 27 für Lutz, und 26 Wahlzettel waren ungültig. Drei Tage nach der Wahl der nächste Hammer: Karl Heckl war in seiner Schwabinger Wohnung zusammengebrochen, musste mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nach einigen Wochen hatte er sich wieder erholt und nahm die Geschäfte beim TSV 1860 auf. Übrigens: Schatzmeister Englert trat nach wenigen Wochen zurück …
Prost Bernd, du bist entlassen!
Es war vielleicht die spektakulärste Trainerentlassung in der Geschichte der Löwen. Beim gemeinsamen Oktoberfest-Besuch feuerte Präsident Karl Heckl seinen Trainer Bernd Patzke, der zu dieser Zeit lediglich zwei von elf Spielen gewinnen konnte, aus einer Bierlaune heraus. Plötzlich hielt der Präsident seinen Maßkrug in Richtung Patzke und sagte: „Prost Bernd, du bist entlassen!“
INTERVIEW MIT HELMUT SCHMITZ
Helmut Schmitz kam 1983 aus Bayreuth zu den Löwen. Als Libero hielt er die Abwehr zusammen und war in der Saison 1984/1985 mit sieben Treffer bester Torschütze der Sechzger. 1986 wechselte er zum TSV Großhadern, kehrte nach der Ära Heckl zurück und brachte als Abteilungsleiter Ordnung in den Verein. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga arbeitete Schmitz in der Saison 1994/1995 ein Jahr hauptamtlich als Sportlicher Leiter. Schmitz absolvierte 96 Bayernliga-Spiele für den TSV 1860, erzielte dabei 14 Tore.
Herr Schmitz wie kam es dazu, dass der TSV in der Bayernliga-Saison 1984/1985 so abgestürzt ist, nachdem er ein Jahr zuvor noch in der Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga stand?
Helmut Schmitz: Eigentlich hatten wir mit Erich Beer und Ludwig Kögl nur zwei gute Spieler verloren. Aber es wurde kunterbunt eingekauft. Es war eine brutale Einkaufspolitik. Jeder in der Vorstandschaft zauberte einen Namen heraus, der ihm von einem Berater empfohlen wurde - vom Präsidenten bis zum Schatzmeister. Die sportliche Führung war ziemlich unorganisiert. Bernd Patzke war damals Trainer, musste diese elf Neuzugänge, die alle spielen wollten, einbauen. Es ist jedoch nie eine Mannschaft dabei heraus gekommen.
Die Ablösung von Patzke war vorprogrammiert. Insgesamt gab es vier Trainer.
Schmitz: Ja. Nach Patzke kam Popescu, dann Erich Beer und Halama zum Schluß. Wobei es so war, dass alle den Erich Beer behalten wollten, aber leider hat damals der Präsident Karl Heckl eine Ablösung durchgesetzt. Beer ist anschließend nach Bayreuth gegangen und mit diesen in die Zweite Liga aufgestiegen. Meiner Meinung nach wäre er hundertprozentig der richtige Mann gewesen. Wir haben dann mit knapper Not den Abstieg verhindert. Es war aber eine ganz schlimme Zeit.
Was war denn Präsident Karl Heckl für ein Typ?
Schmitz: Er war ein herzensguter Mann, der auch brutal eigenes Geld eingebracht hat, aber vom Fußball überhaupt keine Ahnung hatte. Dafür umgab er sich mit lauter „Flüsterern", die ihn berieten und durch Spielertransfers wahrscheinlich noch Geld verdient haben. Es war ein riesengroßes Tohuwabohu.
Bezeichnend für diese Katastrophensaison war auch, dass Sie als Libero mit sieben Treffern Torschützenkönig wurden.
Schmitz: Ich war als Libero schon offensiv ausgerichtet, bin oft mit nach vorne gegangen, nachdem ich ursprünglich mal Stürmer gewesen war. Ich habe immer meine Tore gemacht. Aber ehrlicherweise muss man dazu sagen, dass vier Tore aus Elfmetern resultierten.