Nach dem Abstieg aus der Zweiten Liga gelang in der Spielzeit 1992/1993 unter dem neuen Coach Werner Lorant die sofortige Rückkehr – und das relativ souverän. Die Bayernliga-Saison beendete der TSV 1860 mit fünf Punkten Vorsprung auf die SpVgg Fürth. In der Aufstiegsrunde hielten sich die Löwen bei zwei Siegen und vier Unentschieden schadlos. Anschließend fuhr das Team im Doppeldecker-Bus zur Aufstiegsfeier zum Marienplatz, wo 20.000 Fans auf ihre Helden warteten.Â
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Nur zweieinhalb Wochen nach dem letzten Relegationsspiel bei Fortuna Köln, in dem der Abstieg besiegelt wurde, mussten die Löwen schon wieder ran. Mit Werner Lorant hatte man inzwischen einen neuen Trainer und mit ihm ging’s gleich ab nach Lienz in Osttirol ins Trainingslager. „Nach dem Abstieg und der langen Saison sowie dem kurzen Urlaub waren wir alle noch geistig und körperlich platt“, erinnert sich Roland Kneißl nur ungern daran. „Und dann kommt der Lorant daher mit seinem Tatendrang – das war alles nicht so leicht zu verkraften.“
Dazu verfügte der TSV 1860 noch nicht über eine komplette Mannschaft. Lorant hatte viele Spieler in den Bus nach Lienz gepackt, die erst mal zur Probe mittrainieren sollten. Ein Amerikaner war darunter, ein Tunesier, später wurde noch ein Brasilianer eingeflogen. Der nur durch eins auf sich aufmerksam machte: Durch seine permanente Müdigkeit. Lorant sortierte ihn schnell wieder aus, ebenso wie fast alle anderen, die vorspielten.
Im Lauf der Zeit allerdings bekam die Mannschaft langsam wieder ein Gesicht: Niels Schlotterbeck wurde verpflichtet, Runald Ossen, Ralf Strogies und Michael Kroninger. Alles Leute, die Erst- oder Zweitligaerfahrung besaßen. Dazu kehrte Andi Löbmann zurück. Jens Keller kam vom VfB Stuttgart, war aber noch für drei Monate gesperrt.
Im ersten Punktspiel jedoch enttäuschten die Sechzger auf der ganzen Linie. Nur mit Müh und Not erreichte man zu Hause gegen den SC Bamberg in letzter Minute ein 2:2, die Zuschauer pfiffen die Mannschaft gnadenlos aus. In Fürth gab’s anschließend ein 1:1, aber die Leistung war schon weitaus besser.
Glänzen jedoch tat der TSV 1860 zunächst überhaupt nicht. Zwar folgten sechs Siege in Serie, aber vier davon endeten mit einem 1:0 – die Sechzger taten immer gerade so viel als nötig. Gegen den FC Starnberg allerdings war’s zu wenig. Mit 2:3 verloren die Löwen gegen die Kicker aus Karl-Heinz Wildmosers Wohnort – der Präsident war dementsprechend angefressen.
Postwendend riss sich die Mannschaft am Riemen, fuhr erneut sechs Siege in Folge ein und schoss jetzt endlich auch mehr Tore. 20 Stück waren es in den sechs Spielen. Natürlich lag man in der Tabelle inzwischen ganz oben an der Spitze, und am 7. November 1992 stieg in Augsburg das absolute Schlagerspiel: Zweiter gegen Ersten, wobei der FCA zwei Punkte hinter dem TSV 1860 zurücklag.
25.000 Zuschauer hatten sich ins Rosenaustadion aufgemacht und bekamen ein furchtbares Geholze geboten, wobei der Schiedsrichter der allerschwächste Mann auf dem Platz war. Den Sechzgern verpasste er gleich drei Zehn-Minuten-Strafen, wobei besonders fatal war, dass diese für ein paar Minuten in denselben Zeitraum fielen. Roland Kneißl hinterher sarkastisch: „Aber nicht mal gegen acht Mann haben die Augsburger ein Tor schießen können.“
Die Atmosphäre war ziemlich vergiftet, vor allem nachdem Kroninger von Jürgen Haller bei einem brutalen Foul eine 15 Zentimeter lange Fleischwunde am linken Bein zugefügt worden war. Karl-Heinz Wildmoser war nach dem Spiel, das übrigens 2:2 endete, ziemlich sauer auf die Augsburger: „Das war ein Drecksspiel, in dem nur auf die Socken gehauen wurde. Das war Krieg.“ Dann verabschiedete er sich von den Gastgebern mit folgenden Worten: „Im Rückspiel hauen wir euch die Hütte voll!“
Inzwischen war auch Bernhard Trares wieder ein Löwe. Ein Jahr nach seiner Achillessehnenoperation bekam er wieder einen Vertrag beim TSV 1860 und arbeitete sich langsam an seine alte Leistungsstärke heran. Einigermaßen beruhigt konnten die Sechziger schließlich in die Winterpause gehen, ihr Vorsprung auf den Zweiten, das war plötzlich der SV Lohhof, betrug sechs Punkte.
Kein Mensch hätte gedacht, dass es für die Löwen nochmal brenzlig werden könnte, aber zwei mehr als peinliche Heimniederlagen gegen Memmingen und Starnberg im März 1993 sorgten plötzlich wieder für Spannung im Titelrennen. Lohhof lag nur noch einen Punkt zurück. Lorant („Ich lass‘ mich von der Mannschaft nicht zum Hanswurst machen“) tobte vor Wut und Wildmoser ging auf Thomas Ziemer los: „Was der spielt, grenzt an Arbeitsverweigerung.“
Im Tor der Sechzger stand in dieser Phase nicht mehr Rainer Berg, sondern Andi Heid. Grund: Berg hatte bekanntgegeben, dass er zum Saisonende zum FC Augsburg wechseln würde. Reichlich Ärger also bei den Löwen, die am 31. März mit viel Bammel nach Weiden reisten. Aber dort zeigten sie dann ihre bis dahin beste Saisonleistung, gewannen mit 5:2 und Rainer Berg stand wieder im Kasten. Denn Andi Heid ließ ebenfalls verlauten, dass er 1860 verlassen werde.
Am 8. April stieg der Schlager gegen den SV Lohhof, in dem der TSV 1860 dank zweier Tore von Albert Gröber ein 2:2 erreichte. Nichts war es mit der Vorentscheidung im Titelkampf. Eine Woche später lagen beide Teams sogar nach Minuspunkten gleichauf, nachdem die Löwen in Schweinfurt nur ein 0:0 geschafft hatten und spielerisch völlig enttäuschten. „Wir sind alle total verunsichert“, erklärte Guido Erhard, „uns fehlt das Selbstvertrauen.“
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erwartete der TSV 1860 die SpVgg Landshut, wo Karsten Wettberg mittlerweile als Trainer angeheuert hatte und ganz heiß darauf war, den Löwen die Meistersuppe zu versalzen. Fast wär’s ihm auch gelungen. Bis zur 69. Minuten führten die Niederbayern mit 1:0, dann aber sorgten Thomas Miller und der eingewechselte Guido Erhard noch für einen glücklichen 2:1-Sieg. Zwei Wochen später waren die Löwen dann durch: Mit dem 3:2 bei Jahn Regensburg (Gröber schoss wieder zwei Tore) sicherten sie sich am drittletzten Spieltag die Bayernliga-Meisterschaft. Die Aufstiegsrunde konnte kommen.
Dort starteten die Löwen mit einem Paukenschlag. Mit 2:0 gewann man durch Tore von Roland Kneißl und Nils Schlotterbeck beim SSV Ulm. Endlich hatte die Fans wieder die so lang vermisste Euphorie gepackt, die auch das 1:1 zu Hause gegen Kickers Offenbach nicht trüben konnte. Ganz cool spielte die Lorant-Truppe ihr Pensum runter. Dem 1:0 auf Giesings Höhen gegen Norderstedt (Tor: Kroninger) folgte in Norderstedt ein 2:2 (Trares traf kurz vor Schluss) und in Offenbach ein 1:1 (Tor: Miller). Und auch im letzten Spiel gegen Ulm reichte dieses Ergebnis (Störzenhofecker hatte für die 1:0-Führung gesorgt). Der TSV 1860 war in der Aufstiegsrunde Erster geworden und hatte die Rückkehr in die 2. Liga geschafft.
Den Aufstieg feierten 30.000 Fans am 13. Juni 1993. Die Spieler verließen nach dem Schlusspfiff fluchtartig den Rasen, einige wussten noch vom ersten Aufstieg her, was ihnen blühen würde, wenn sie in die Arme der Anhänger fielen. Aber sie präsentierten sich natürlich ihren Fans auf der Tribüne, warfen Schuhe und Stutzen in die Menge und als diese forderten: „Ausziehen! Ausziehen!“ flogen auch noch Trikots und T-Shirts nach unten. Nur die Hosen blieben an.
„Unbeschreiblich, was sich hier abspielt“, schwärmte Thomas Ziemer, „das ist das bisher größte Erlebnis für mich.“ Roland Kneißl, der schon beim ersten Aufstieg zwei Jahre zuvor dabei war, sah’s etwas nüchterner: „Das war ein klarer Start-Ziel-Sieg. Wir waren eine super Mannschaft. Und es hätte uns wohl keiner zugetraut, dass wir in der Aufstiegsrunde nicht ein einziges Spiel verlieren!2
In einem roten englischen Doppeldecker-Bus fuhren die Löwen nach vollbrachtem Aufstieg zum Marienplatz, wo sie am frühen Abend die Huldigung von etwa 20.000 Fans entgegennahmen. Karl-Heinz Wildmoser ergriff auf dem Rathaus-Balkon das Mikrofon und versprach: „In drei Jahren sehen wir uns wieder. Dann feiern wie den Aufstieg in die Erste Liga.“ Er konnte nicht wissen, dass dies schon ein Jahr später passieren würde…
KURIOSES
Aufopferungsvoller Manndecker Strogies
Besonderer Respekt wurde von allen Seiten Ralf Strogies entgegengebracht: Der Manndecker hatte in der Aufstiegsrunde Riesenleistungen geboten, obwohl seine Leistenstränge nahezu zerfetzt waren und er vor jedem Spiel und in der Halbzeit massenhaft Spritzen bekommen musste. Strogies hatte sich buchstäblich aufgeopfert, denn die Verletzung erwies sich dann als so schlimm, dass er in der folgenden Zweitligasaison kein einziges Spiel bestreiten konnte.
Der Kampf um Berg
Während der Aufstiegsfeier auf dem Marienplatz forderten die Löwen-Fans in Sprechchören immer wieder: „Rainer muss bleiben! Rainer muss bleiben!“ Gemeint war natürlich Torhüter Berg, der einige Monate zuvor beim FC Augsburg unterschrieben hatte und den TSV 1860 verlassen wollte. Auf dem Rathaus-Balkon gab’s dann aber vom Löwen-Keeper die ersten Signale dafür, dass der Wunsch der Fans in Erfüllung gehen könnte. Berg: „Ich möchte mich bei euch bedanken. Wie es weitergeht – lassen wir uns mal überraschen.“ Ohrenbetäubender Jubel bei den Fans, sie nahmen diese Worte schon so gut wie als Vertragsverlängerung hin. Und tatsächlich. Wenig später löste Berg seinen Vertrag beim FC Augsburg auf. Das konnte er auch ohne Gewissensbisse, da die Abmachung mit den Schwaben die Klausel enthielt, dass Berg im Falle eines Profi-Angebots die Möglichkeit besäße, vom Vertrag zurückzutreten. Und das Profi-Angebot hatte er in der Tasche – von seinem alten Verein, dem TSV 1860. Die Fuggerstädter allerdings wollten sich mit dieser Lösung überhaupt nicht abfinden, drohten mit Klagen gegen 1860 und Berg, aber irgendwann sahen sie dann doch ein, dass sie auf verlorenem Posten standen.
Rätsel um Rudi Zeisers Tod
Es war eine Nachricht, die vor allem bei vielen langjährigen Löwen-Fans Bestürzung hervorrief. Am Abend des 4. Februar 1993 war Rudi Zeiser in der Nähe seiner Wohnung in Ismaning von einer S-Bahn überfahren worden und verstorben. Ob es ein Unglücksfall war oder sich der Meister-Löwe von 1966 das Leben nehmen wollte, konnte nie geklärt werden. Tatsache war, dass Zeiser, der 56 Jahre alt war, seit einiger Zeit unter Depressionen litt und psychisch sehr labil war. Ein Jahr zuvor nämlich war sein Sohn, der ebenfalls Rudi hieß, bei einem Tauchunfall in Spanien ums Leben gekommen. Ein Schicksalsschlag, den Zeiser nie überwinden konnte. Rudi Zeiser, der mit dem Abstieg im Jahr 1970 seine Karriere beendet hatte, gehörte zu jenen Spielern in der glorreichen Merkel-Ära, die nie im Mittelpunkt stehen wollten. Starrummel war dem Außenläufer stets fremd gewesen, aber wenn’s im Spiel drauf ankam, war auf den „Fuchse“ immer Verlass. Wie 1966, als er im vorentscheidenden Spiel um die Deutsche Meisterschaft Borussia Dortmunds großen Star Sigi Held schachmatt setzte.
INTERVIEW MIT HORST SCHMIDBAUER
Horst Schmidbauers Vorzüge als Stürmer waren seine Schnelligkeit und seine ausgefeilte Technik. Insgesamt spielte er vier Jahre für die Löwen, studierte nebenbei auf Lehramt. Nach dem zweiten Aufstieg mit dem TSV 1860 wechselte er wegen eines inakzeptablen Angebots des Vereins wieder zurück zum SV Türk Gücü, von dem er 1989 gekommen war. Insgesamt absolvierte er für Sechzig 84 Bayernliga-Spiele (23 Tore) und 26 Partien in der 2. Liga (7).
Dem Abstieg in die Bayernliga folgte in der Saison 1992/1993 gleich wieder der Aufstieg in die Zweite Liga. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Spielzeit?
Horst Schmidbauer: Natürlich denkt man gerne an eine so erfolgreiche Saison zurück. Allerdings muss ich zugeben, dass der erste Aufstieg 1991 auf Grund der langen Abwesenheit des Vereins aus dem Profifußball für mich – und vermutlich auch für die meisten Löwen-Fans – noch besser in Erinnerung geblieben ist.
Es war die erste Saison unter Werner Lorant. Was war er für ein Trainer-Typ?
Schmidbauer: Ich kannte Werner Lorant noch von meiner Zeit bei der SpVgg Landshut, als wir 1986 überraschend Bayernligameister wurden. Ich hatte damals das zweifelhafte Vergnügen, gegen ihn spielen zu müssen. Als er bei 1860 Trainer wurde, absolvierte ich gerade mein Referendariat und büffelte für mein zweites Staatsexamen (Anm. d. Red.: Horst Schmidbauer ist Gymnasiallehrer für Sport und Wirtschaft/Recht). Ich war nicht nur über seine Trainingsmethoden überrascht, sondern auch über die Art der Personalführung, die ich aus keinem meiner Lehrbücher kannte.
In die Annalen ging damals das Spiel am 7. November 1992 im ausverkauften Augsburger Rosenaustadion ein, als die Löwen als Tabellenführer auf den zwei Punkte dahinter platzierten FCA trafen. Wie sind ihre Erinnerungen an dieses Spiel?
Schmidbauer: Ich weiß nur noch, dass die Begegnung eine echte Rasenschlacht war, in die nicht nur das Publikum, sondern auch der Schiri durch fragwürdige Zeitstrafen eine Menge Hektik brachten. Leider spielten wir nur 2:2, was aber nach dem damaligen Tabellenstand kein Beinbruch war.
In der Aufstiegsrunde lief es fast optimal, kein Spiel ging verloren ...
Schmidbauer: Offensichtlich haben wir uns am Ende der Meisterschaft, die wir mit fünf Punkten Vorsprung abschlossen, für die anstrengende Aufstiegsrunde geschont. Viele von uns waren bereits beim Aufstieg 1991 dabei, wussten also, was auf sie zukommt.
Wie erlebten Sie die Aufstiegsfeierlichkeiten?
Schmidbauer: Leider konnte ich nicht so exzessiv feiern, da ich am nächsten Morgen eine Examensprüfung hatte. Gelernt habe ich aber einiges. An jenem Abend klopfte mir Präsident Karl-Heinz Wildmoser auf die Schulter und sagte: „Jetzt hol‘ ma zu dir no an zwoatn bundesligatauglichen Stürmer.“ Am nächsten Tag legte er mir ein vollkommen unakzeptables Vertragsangebot vor. Damit war meine Zeit bei Sechzig beendet.