Die Löwen schafften in der Spielzeit 1993/1994 historisches: Als erster Klub im deutschen Fußball gelang ihnen der direkte Durchmarsch von der 3. Liga in die Bundesliga. Dabei hielten viele das Team vor Saisonstart nicht für zweitligatauglich. Aufstiegsheld war Peter Pacult, der mit 18 Treffern interner Torschützenkönig wurde. Sein kongenialer Sturmpartner hieß Bernhard Winkler, mit 16 Toren kaum weniger erfolgreich. Als Dritter gelang durch einen 1:0-Erfolg am letzten Spieltag in Meppen der Aufstieg.
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Nach der direkten Rückkehr in die 2. Bundesliga hielten sich die Löwen in puncto Verstärkungen im Sommer 1993 relativ zurück. Da ohnehin kein Geld für Millioneneinkäufe vorhanden war, blieb auch nichts anderes übrig, als auf Schnäppchenjagd zu gehen. Bernd Winkler und Peter Pacult wurden für den Angriff geholt und kosteten zusammen rund 400.000 Mark. Etwas weniger musste der Verein für Lutz Braun und Matthias Imhof hinblättern. Alle vier erkämpften sich auf Anhieb einen Stammplatz, nur Andreas Hartig, der fünfte Neuzugang, saß auf der Bank, als es am 27. Juli losging.
„Der Abstieg ist für uns kein Thema“, sagte Trainer Werner Lorant gegenüber dem kicker. Zum Auftakt mussten die Sechzger zu Hansa Rostock reisen und wurden nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Mit 0:4 kassierte der Aufsteiger gleich eine kräftige Watschn, wobei ein gewisser Olaf Bodden mit drei Treffern am fürchterlichsten hinlangte. Die Löwen waren restlos bedient, böse Erinnerungen an die Saison zwei Jahre zuvor kamen auf, als man postwendend wieder in die Bayernliga zurück musste. „Für uns ist jetzt der Abstiegskampf schon voll entbrannt“, warnte Armin Störzenhofecker. Völlig am Boden zerstört war Lutz Braun, der Gegenspieler von Olaf Bodden. „Die Niederlage geht zum Großteil auf meine Kappe“, übte der Abwehrspieler Selbstkritik
Natürlich fanden sich die Löwen nach diesem Fehlstart auf dem letzten Platz wieder, aber bereits vier Tage später konnten sie das alles wieder ändern, im Heimspiel gegen Rot-Weiß Essen. Dank eines Treffers von Peter Pacult gewannen die Sechzger mit 1:0, aber ein 7:0 wäre ohne weiteres drin gewesen. Beste Chancen wurden reihenweise vergeben, wobei sich vor allem Bernhard Winkler als Unglücksrabe hervortat. Eine Woche später mussten die Sechzger zu den Stuttgarter Kickers. Tausende von Löwen-Fans waren mit nach Degerloch gereist und durften einen 2:0-Sieg durch Tore von Winkler und Pacult bejubeln.
Da hatten sich zwei gefunden, die sich auf dem Platz blind verstanden. Was sie auch im nächsten Heimspiel gegen Tennis Borussia Berlin bewiesen. Die Löwen gewannen vor 25.000 Zuschauern im Grünwalder Stadion mit 2:1. Tore: Pacult und Winkler. In der Tabelle stand der TSV 1860 auf einmal auf Platz drei. „Nur nicht durchdrehen“, lautete die Devise.
Leicht gesagt. Um Peter Pacult jedenfalls entstand schon jetzt ein großes Remmi-Demmi. Gegen Tennis Borussia waren viele Journalisten aus Österreich angereist, die sich selbst davon überzeugen wollten, was der „alte Mann“ beim TSV 1860 so treibt. „München im Banne des ‚Pa-Kults‘“ schrieb die Kronenzeitung.
Und Werner Lorant spielte Prophet: „Wenn wir am 25. September gegen den VfL Bochum antreten, dann spielt der Zweite gegen den Ersten“, kündigte er an. Zunächst jedoch gab’s einen kleinen Dämpfer. In Mainz erreichte man dank des Treffers von Bernhard Trares ein etwas glückliches 1:1. Ebenfalls nur ein Punkt sprang im nächsten Heimspiel gegen Hannover (zwei Pacult-Tore beim 2:2) raus. Anschließend aber gewann 1860 mit 2:0 in Saarbrücken (durch Treffer von Miller und Pacult) und schaffte den von Lorant vorausgesagten Sprung auf Rang zwei.
Das Löwen-Herz platzte schier vor Freude. Der Wiesn-Beginn stand auch noch vor der Tür und dazu die zwei Heimspiele gegen Carl Zeiss Jena und den VfL Bochum. Jena wurde 2:0 besiegt, durch Pacult und Winkler, da wunderte sich jetzt schon keiner mehr. Und dann wartete alles auf den Schlager gegen Bochum. Das Stadion an der Grünwalder Straße war zu Beginn der Woche längst ausverkauft, in ganz Deutschland blickte man wieder auf die Löwen.
Tausende standen an jenem 25. September 1993 vor verschlossenen Stadiontoren – drinnen herrschte eine Stimmung wie in den glorreichen 1960er-Jahren. Und die Löwen trumpften auf wie anno dazumal, boten unvergessliche 90 Minuten: 1:0 Störzenhofecker (30.), 2:0 Winkler (58.), 3:1 Winkler (73.) und in der 84. Minute das Gusto-Stückerl schlechthin. Nach einer Vorlage von Winkler ließ Pacult Bochums Frank Heinemann mit einer herrlichen Körpertäuschung ins Leere laufen und schob den Ball anschließend ganz lässig über die Linie. Die 30.000 verwandelten das Stadion in ein Tollhaus und alle sangen mit beim neuen Löwen-Song: „Stark wie noch nie!“, der permanent aus den Lautsprechern dröhnte.
Der TSV 1860 war jetzt punktgleich mit dem Tabellenführer, der seine erste Niederlage kassiert hatte. Und – man kam nicht mehr drum rum: Bei den Löwen wurde jetzt natürlich auch ernsthaft über einen möglichen Bundesliga-Aufstieg diskutiert. Lorant jedoch warnte sofort: „Wir dürfen jetzt nicht ausflippen.“ Und prompt gab’s eine Woche später den Dämpfer. Mit 2:5 unterlagen die Sechzger in Wuppertal. Die erste Niederlage seit dem Saisonstart in Rostock und wieder bekam man gleich kräftig eins auf die Mütze. Mit etwas Glück besiegte man eine Woche später den FC St. Pauli mit 1:0, mit dem gleichen Ergebnis unterlag man aber daraufhin in Uerdingen. Präsident Wildmosers bissiger Kommentar: „Heute hat man gesehen, dass wir mit einem Bundesliga-Aufstieg nichts am Hut haben dürfen.“
Trotzdem blieb der TSV 1860 auch nach dieser Niederlage Zweiter und startete wieder eine kleinere Erfolgsserie. Winkler schoss zu seiner besonderen Genugtuung beide Treffer zum 2:1 gegen seinen Ex-Klub Fortuna Köln, Imhof traf in letzter Minute bei Hertha BSC und sorgte dafür, dass die Löwen mit einem 1:0-Sieg heimreisen konnten. Und beim 3:1 gegen Waldhof war Niels Schlotterbeck zweimal erfolgreich. Es folgten ein 0:0 in Wolfsburg, ein 1:0 gegen Homburg mit zehn Mann (Trares war vom Platz geflogen) und ein 1:1 in Chemnitz bei sibirischen Temperaturen und im tiefen Schnee. Guido Erhard rettete diesen Punktgewinn kurz vor Schluss mit seinem zweiten Saisontor.
Vor dem letzten Vorrundenspiel zu Hause gegen den SV Meppen rangierte die Lorant-Truppe mit sechs Punkten Vorsprung auf Rang zwei – die erste Liga hatten mittlerweile alle im Visier. Dass man gegen die Meppener durch ein irreguläres Tor kurz vor Schluss mit 1:2 die erste Heimniederlage kassierte, ärgerte die Löwen nicht lange. Auf der gleich anschließend stattfindenden Weihnachtsfeier wurde mit Recht auf eine großartige Vorrunde kräftig angestoßen.
Dann jedoch gab’s Stunk. Als während der Winterpause mit dem schwedischen National-Stürmer Mats Lilienberg, Thomas Seeliger und Jochen Kientz gleich drei neue Spieler verpflichtet wurden, machte sich in der Mannschaft Unruhe breit. „Keiner von uns hat diese Transfers kapiert“, sagte einer der „alten“ Spieler, „wir hatten eine Super-Vorrunde hingelegt und dann werden drei neue Leute dazu geholt. In der Mannschaft herrschte eine Scheiß-Stimmung.“
Was sich dann auch auf dem Fußballplatz bemerkbar machte. Die Löwen verloren die ersten vier Spiele nach der Winterpause (davon drei auf eigenem Platz) und fielen zurück auf
Platz fünf. Werner Lorant bot frustriert Präsident Wildmoser seinen Rücktritt an, aber der winkte ab: „Das Ding ziehen wir schon durch.“
Und tatsächlich rappelten sich die Sechzger wieder auf. Ein 4:1-Sieg in Hannover (mit zwei Lilienberg-Toren) war Balsam für die gebeutelten Löwen-Seelen. Und auch das 2:0 zu Hause gegen Saarbrücken tat allen merklich gut. Aber raus aus dem Dreck war man noch lange nicht. Dem 1:1 in Jena folgte ein 0:2 in Bochum mit einem sehr schwachen Auftritt der Sechzger. Trotzdem blieben Lorant und seine Mannen dran. 3:1 gegen Wuppertal, 4:1 in Essen – das konnte sich wieder sehen lassen. In St. Pauli verlor man wieder (1:2), trotzdem rutschte 1860 auf Platz drei vor, da Uerdingen 1:3 gegen Saarbrücken unterlag und bei Punkt- und Torgleichheit weniger Treffer auf dem Konto hatte. Knapper ging’s kaum noch.
Und am nächsten Spieltag trafen ausgerechnet 1860 und Uerdingen aufeinander. Aber nach dem 0:0 blieb alles beim Alten. Torlos endete auch die Partie bei Fortuna Köln, drei Spiele
in Folge waren die Sechzger jetzt schon ohne Sieg. Im Heimspiel gegen Hertha BSC jedoch sicherte Pacults Treffer den 1:0-Sieg, danach konnte man auch mit einem 1:1 in Waldhof einigermaßen leben. Inzwischen war nämlich St. Pauli auf Platz drei abgerutscht und zum härtesten Konkurrenten um den dritten Aufstiegsplatz geworden.
Noch war alles drin für 1860. Die Löwen befiel auch nicht die große Flatter. Wolfsburg wurde 4:0 geschlagen (zwei Tore von Pacult), in Homburg mit etwas Glück ein 0:0 geholt und das letzte Heimspiel gegen Chemnitz ging mit 3:1 (zwei Winkler-Tore) ebenfalls gut über die Bühne. Einen Spieltag vor Schluss lagen 1860 und St. Pauli nach Punkten gleichauf. Die Entscheidung musste in Meppen fallen.
Es war ein Finale auf Distanz. Die Löwen besaßen das weitaus bessere Torverhältnis als die Hanseaten. Bei einem Sieg in Meppen könnte also so gut wie nichts mehr anbrennen. Auch St. Pauli musste auswärts ran: beim VfL Wolfsburg. Schon zwei Tage vor dem Spiel waren die Sechzger in den Norden gereist, hatten im idyllischen Herzlake Quartier in der dortigen Sportschule bezogen.
Bitter allerdings für sie: Einer ihrer Besten, Bernhard Trares, hatte sich im letzten Heimspiel gegen Chemnitz einen Innenbandriss zugezogen und fiel aus. Aber Werner Lorant blieb trotzdem zuversichtlich. „Wir schaffen das“, prophezeite er, „solche Endspiele liebe ich ja besonders.“ Allerdings hatte der Trainer im Vorfeld selbst für etwas Unruhe gesorgt, weil herauskam, dass er mit Austria Wien in Verhandlungen stand.
Aber das interessierte beim Anpfiff in Meppen niemanden mehr. Jetzt ging’s um die Wurst, rund 8.000 Löwen-Fans hatten die weite Reise nach Meppen mitgemacht – ein halbes Heimspiel war es für die Löwen somit allemal. Mit einem Auftakt, wie er schöner nicht hätte sein können. Bereits in der 3. Minute passte Winkler seinem Spezi Pacult den Ball wunderbar in den Lauf, und der österreichische Torjäger spielte einmal mehr seine gesamte Cleverness aus, die ihn im Strafraum auszeichnete, und schoss zum 1:0 ein. Pacults 18. Saisontreffer. „Mein wichtigster“, wie er hinterher feststellte.
Danach jedoch geriet der TSV 1860 gehörig unter Druck. Die Meppener, für die es um nichts mehr ging, hatten überhaupt keine Lust, dem TSV 1860 den Aufstieg zu schenken, aber Gott sei Dank stellten sie sich vor dem Löwen-Tor zu ungeschickt an oder scheiterten an den irren Reflexen von Rainer Berg. Aber auch sonst hatten die Löwen-Fans Grund zum Jubeln. In der 15. und 44. Minute ging ein frenetischer Aufschrei durchs Stadion. Per Radio hatten die Anhänger aus München erfahren, dass St. Pauli 0:1 und später 0:2 zurücklag. Dann war Halbzeit, es konnte eigentlich kaum mehr was passieren.
Nach der Pause verballerten die Sechzger, wie zuvor die Meppener, allerbeste Möglichkeiten. Lilienberg, Winkler und Schlotterbeck trafen nicht einmal das leere Tor, aber auch das war zu verschmerzen. St. Pauli lag jetzt schon 0:3 hinten. Die 1860-Fans sangen und feierten, jeder wartete nur noch auf den Schlusspfiff. Wolfsburg führte inzwischen 4:1, die Spannung war raus. Auf den Rängen machte man sich zum Sturm auf das Spielfeld bereit, die Spieler konzentrierten sich darauf, nach dem Schlusspfiff den schnellsten Weg in die Kabine zu finden. Es hatte keiner Lust, erdrückt zu werden, auch nicht aus Freude.
Werner Lorant hatte sich schon einige Minuten vor dem Ende neben dem Kabineneingang postiert, sauste dann wie ein geölter Blitz nach drinnen, die Spieler folgten etwas später, aber auch noch rechtzeitig. „Es war die nackte Angst“, gab Thomas Ziemer hinterher zu. Nachdem sich alle in Sicherheit befanden, wurde die Kabinentür von innen zugesperrt. Endlich waren die Sechzger unter sich, bei fast allen flossen die Tränen. Pacult und Winkler hockten wie ein Liebespaar Arm in Arm auf der Bank, Werner Lorant saß, in sich versunken, ein paar Meter weiter ganz allein da. Auch er musste erstmal verkraften, was an diesem Tag geschehen war.
Nach den ersten schweigsamen Minuten ließen die Löwen schon bald die Sau raus. Bier, Sekt und Champagner machten in Pappbechern die Runde, man feierte und grölte, und plötzlich schaute ein Fan durch eins der schmalen Fenster herein, beinahe war er schon fast zur Kabine reingekrochen. „Bittschön“, flehte er Werner Lorant an, „schenk mir irgendwas von dir.“ Lorant ließ sich nicht lange bitten, zog seine Trainingsjacke aus und reichte sie nach oben: „Hier, weil du so hartnäckig bist!“
Auch draußen im Stadion war die Souvenirjagd in vollem Gange. Sehr begehrt bei den Löwen-Fans: Grasbüschel des Platzes, auf dem der Aufstieg perfekt gemacht worden war. Fans aus Igling im Landkreis Landsberg sägten die Pfosten jenes Tores ab, in das Peter Pacult zum 1:0 getroffen hatte. Aber auch der Schuh, mit dem der Löwen-Stürmer das Tor erzielt hatte, war zur Beute der Fans geworden. Pacults Kickstiefel wurde sofort mit Bier gefüllt und machte dann die Runde. Jeder durfte mal nippen. Nie zuvor schmeckte Fußschweiß so angenehm!
Oben auf der Tribüne stand immer noch Karl-Heinz Wildmoser, er genoss den Triumph mit einem verklärten Lächeln. Etliche Fans marschierten unten vor ihm auf, schmetterten ohrenbetäubende Dankeslieder, einige schafften es bis zu ihm rauf und busselten den Präse vor lauter Freude ab.
Dann ging’s mit dem Bus die 80 Kilometer zum Flughafen Münster/Osnabrück. Auf dem Rollfeld hatte die Flughafen-Gesellschaft ein lukullisches Büffet aufgebaut, Schampus gab’s und der wurde beileibe nicht nur getrunken. Wie die kleinen Kinder spritzten Spieler und Fans mit dem edlen Gesöff in der Gegend herum, Thomas Ziemer war von oben bis unten nass. Der Rückflug nach München konnte erst mit Verspätung angetreten werden, weil noch ein blinder Passagier gesucht werden musste, der sich in die vollbesetzte Maschine reingeschwindelt hatte.
Nachdem man dann endlich abgehoben hatte, war im Flieger der Teufel los. Ohne Unterlass ging La-Ola durch die Sitzreihen und das Servicepersonal war pausenlos damit beschäftigt, frische Getränke zu reichen. Gigantisch schließlich die Ankunft auf dem Münchner Flughafen. 2.000 Fans hatten auf die Sechzger gewartet, bereiteten ihnen einen triumphalen Empfang. Ziemer, Kientz und Schlotterbeck bedankten sich auf ihre Weise, kraxelten flugs auf das Dach des Löwen-Busses und legten einen astreinen Striptease hin. Sakkos, Hosen und Hemden flogen in die Menge, nur die Unterhosen behielt das Trio noch an.
Dann zog man endlich im Triumphzug in die Stadt ein. Auf der Leopoldstraße bildeten die Schwabing-Bummler Spalier und jubelten dem Löwen-Bus immer wieder zu. Drinnen dröhnte Rockmusik in voller Lautstärke aus dem Radio und alle grölten und sangen, was das Zeug hielt.
Ziel war der „Pschorr-Keller“, in dem die große Aufstiegsfete stattfinden sollte. Am Nachmittag hatten sich fast alle Meister-Spieler von 1966 zu einem gemütlichen Beisammensein getroffen und sie waren natürlich auch am Abend als Ehrengäste geladen. Mit stehenden Ovationen begrüßten sie ihre Nachfolger, als diese den Saal betraten. Fredi Heiß war richtig gerührt: „Endlich spielt 1860 wieder in der Liga, in die der Verein gehört. Ich freu’ mich narrisch.“
Und dann wurde gefeiert, dass sich die Balken bogen. Die Band mit Geschäftsführer Helmuth Reuscher an der Gitarre spielte ein ums andere Mal „Stark wie noch nie“, das „Sechzger-Lied“ und viele andere Hits. Helmut Schmitz kam nicht drum rum, seine mittlerweile fast weltberühmte Udo-Lindenberg-Parodie zu präsentieren. Alle schwelgten in weiß-blauer Glückseligkeit – am liebsten hätte man die Zeit angehalten.
Aber ein Höhepunkt stand ja noch bevor: Die Ankunft des Trainers. Werner Lorant war von Meppen direkt ins „Aktuelle Sportstudio“ nach Mainz gefahren und traf erst um halb drei
in der Früh im „Pschorr-Keller“ ein. Einige Fans trugen ihn auf den Schultern in den Saal, endlich war die Feiergemeinde komplett. Minutenlang wurden Lorant wahre Ovationen entgegengebracht – er war der Vater des Aufstiegs. Da gab’s keine Frage. Und als Karl-Heinz Wildmoser der versammelten Gesellschaft erklärte, dass Lorant ihm versprochen habe, seinen Vertrag bis 1997 zu verlängern, folgte nochmal ein Aufschrei der Begeisterung.
Bis in die frühen Morgenstunden dauerten die Feiern, etliche Spieler waren in einen Rock-Club weitergezogen, ließen es dort noch mächtig krachen. Aber, auch wenn manch einer kein Auge in dieser Nacht zugemacht hatte, am nächsten Vormittag standen sie alle wieder auf der Matte, als es in einer Pferdekutsche zum Marienplatz ging, wo wieder mal 20.000 Fans warteten. Etwas übermüdet nahmen die Löwen auf dem Rathausbalkon die Jubelstürme entgegen, Präsident Wildmoser las die eingegangenen Glückwunsch-Telegramme aus ganz Deutschland vor und Mats Lilienberg sorgte für ein Riesengebrüll, als er sich auf Schwedisch bedankte. Und Lorant rief in die Menge: „Letztes Jahr waren wir hier, heuer sind wir hier, und ihr seid jetzt da, wo ihr hingehört: In der Ersten Liga!“
KURIOSES
Wildmoser und die Stimmung in Uerdingen
Bei der 0:1-Niederlage in Uerdingen boten die Löwen in der Vorrunde eine ziemlich schwache Vorstellung. Karl-Heinz Wildmoser erkannte deshalb den Sieg der Bayer-Truppe auch neidlos an. „Nur“, fügte er hinzu, „die Stimmung hier im Stadion, de konnst vagessn. Da is ja bei uns bei jeda Beerdigung mehr los wia bei eich bei am Fußboischpui.“ Die Uerdinger Vorstandsherren hörten mit offenem Mund zu und als man ihnen Wildmosers Aussage ins Hochdeutsche nübersetzt hatte, reagierten sie ziemlich beleidigt. „Das ist ja eine Unverschämtheit“, erklärten sie empört. Bayerischer Humor ist halt nicht jedermanns Sache. Vor allem nicht, wenn man aus dem Rheinland kommt!
Braun und das Aufstiegskind
Viel Zeit zum Feiern blieb Lutz Braun nach vollbrachtem Aufstieg in Meppen nicht. An der Sause in der Kabine konnte der Abwehrspieler nur kurz teilnehmen, dann hieß es für ihn, zusammen mit Reiner Maurer zur Doping-Kontrolle. Aber es lief absolut nichts bei ihm und deshalb kippte er sich ein Bier nach dem anderen rein. Acht Stück waren’s insgesamt, ehe unten endlich was Brauchbares rauskam. Für Brauns Kreislauf jedoch war der „Alkoholschock“ nach der neunzigminütigen körperlichen Anstrengung auf dem Fußballplatz zu viel. Er kippte bei der Ankunft am Flughafen Münster im Bus zusammen. Gestützt auf seine Frau Sandra und Löwen-Fan Heiner Leitl schaffte er es mühsam in den Flieger. Nach der Ankunft in München ging’s dem Lutz gesundheitlich schon wieder besser, „aber“, so stöhnte er, „ich bin total besoffen.“ Auch Helmut Schmitz hatte zu diesem Zeitpunkt bereits reichlich Schlagseite, konnte dies jedoch begründen. „Ich musste schließlich bei der Doping-Kontrolle dabei sein und alles überprüfen“, erklärte der Fußball-Chef, „auch das Bier, das Braun und Maurer tranken. Ich versteh’ den Lutz nur nicht, dass er sich so angestellt hat. Ich hätte sofort bieseln können.“ Bei der Feier im „Hackerkeller“ hielt sich Braun dann alkoholmäßig ziemlich zurück, um vier Uhr in der Früh fuhr er zusammen mit seiner Frau nach Hause. Aber für den wieder zu Kräften gekommenen Lutz war die Nacht damit noch lange nicht zu Ende. Genau neun Monate später kam Stammhalter Lorenzo auf die Welt. Und die Brauns gaben ohne Umschweife zu, dass es sich dabei um „ein echtes Aufstiegskind“ handelte.
Ziemers tränenvoller Abschied
Als die Löwen auf dem Rathausbalkon nach vollbrachtem Aufstieg gefeiert wurden, konnte einer seine Tränen nicht mehr zurückhalten: Thomas Ziemer. Vor allem, als die Fans immer wieder seinen Namen im Stakkato riefen, heulte der kleine Publikumsliebling Rotz und Wasser. Ziemer wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Werner Lorant nicht mehr mit ihm plante und er keinen neuen Vertrag erhalten würde. Nach knapp drei Jahren war das Kapitel 1860 für den Tommy beendet. Schon während der Saison war Ziemer ein halbes Jahr lang auf Eis gelegen, nachdem ihm Lorant bei der 2:5-Niederlage in Wuppertal am 1. Oktober 1993 schwere taktische Fehler vorgehalten hatte.Erst Mitte der Rückrunde fand Ziemer wieder Gnade beim Trainer und durfte bei dem einen oder anderen Spiel dabei sein. Immerhin war der Mittelfeldspieler selbstkritisch genug, um zuzugeben, dass sein Lebenswandel nicht gerade vorbildlich für einen Profi-Fußballer war. Aber abends allein zu Hause zu sitzen, das fiel Ziemer einfach schwer. Lorant bedauerte auch immer wieder, dass sich Ziemer in dieser Hinsicht nicht besserte, „weil er ja wirklich ein Riesen-Fußballer ist. Aber es gehört mehr dazu, als nur eine gute Technik.“
März und das Löwen-Maskottchen
Erich März wurde im Sommer 1993 fürs Marketing eingestellt. Er sollte sich um das boomende Merchandising-Geschäft kümmern. Seine erste Idee, die er umsetzte, war ein Maskottchen. Dazu steckte er einen Studenten in ein Löwen-Kostüm mit Sechzger-Dress und nannte es „Heinzi“. Dieser „Animations-Löwe“, von den Fans auch Rasta-Löwe wegen seiner ungewöhnlichen Mähne genannt, stieß bei den traditionsverbundenen 1860-Fans auf wenig Gegenliebe. Auch dass der „Sechzger-Marsch“ für den neuen Hit „Stark wie noch nie!“ weichen musste, ärgerte viele Traditionalisten. Doch das Geschäft mit dem TSV 1860 begann zu boomen. So wurde in dieser Zeit ein neuer Fanshop in der Orlandostraße 8 in der Nähe des Hofbräuhauses eröffnet.
INTERVIEW MIT BERNHARD WINKLER
Bernhard Winkler ist eine Löwen-Legende. Zwischen 1993 und 2002 stürmte er für die Löwen, avancierte zum Publikumsliebling. Mit 64 Toren in 160 Bundesliga-Spielen ist er bis heute zweitbester Torschütze des TSV 1860 in der Bundesliga, liegt damit nur zwei Treffer hinter Klub-Ikone Rudi Brunnenmeier. Dazu kommen nochmals die 16 Treffer in 36 Zweitliga-Partien für Sechzig. Später war Winkler in verschiedenen Positionen im Verein tätig, als Co-Trainer, Amateurcoach, Leiter der Löwenfußballschule und als Teammanager.
Die Saison 1993/1994 war ihre erste von insgesamt neun Spielzeiten. Wie kamen Sie zu den Löwen?
Bernhard Winkler: Ich hatte mit dem Profifußball schon fast abgeschlossen. Nach der Meisterschaft mit Kaiserslautern 1991 lief es nicht mehr richtig. Ich wurde zuerst nach Wattenscheid und dann zu Fortuna Köln ausgeliehen. Obwohl ich noch ein Jahr Vertrag beim 1. FCK besaß, überlegte ich mir, wieder in meinen erlernten Beruf zurückzukehren und nur noch in der Oberliga zu spielen.
Was sorgte für die Wende?
Winkler: Zu der Zeit, als sich Sechzig in der Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga befand, rief plötzlich Werner Lorant bei mir an. Er kannte mich noch aus der Zeit in Schweinfurt. „Wir steigen auf“, sagte er zu mir und fragte mich, ob ich für die Löwen spielen möchte. Ich brauchte nicht lang zu überlegen. Schließlich war es nochmals eine Chance, als Profi Fuß zu fassen. Ich denke, dass ich das Vertrauen des Trainers zurückgeben konnte.
Der Start in die Saison verlief alles andere als hoffnungsvoll?
Winkler: Ja, wir haben gleich das erste Spiel bei Hansa Rostock mit 0:4 verloren. Anschließend gewannen wir das Heimspiel gegen Rot-Weiß Essen durch ein Tor von Peter Pacult mit 1:0. In dieser Partie habe ich drei Tausendprozentige vergeben, danach war ich bei den Fans erst mal durch. Persönlich fiel mir der Start in München sehr schwer, da mir drei Monate Spielpraxis fehlten.
Ab wann glaubten Sie, dass es mit dem direkten Durchmarsch von der Bayern- in die Bundesliga klappen könnte?
Winkler: Sehr, sehr spät! Sechs Spieltage vor Schluss hatten wir noch sechs Punkte Rückstand – und das bei der Zwei-Punkte-Regel. Erst am drittletzten Spieltag sind wir auf den 3. Platz gerückt.
Wie erlebten Sie den 1:0-Erfolg in Meppen und die anschließenden Feierlichkeiten?
Winkler: Es war der Wahnsinn. Nach dem Spiel haben die Fans alles abmontiert: den Rasen, die Tore. Da war nichts mehr übrig. Wir kamen abends mit dem Flieger in München an. Dann ging‘s direkt zum Feiern in den Paulaner Keller an der Theresienwiese bis in die frühen Morgenstunden. Am nächsten Tag war dann der feierliche Einzug auf den Rathaus-Balkon – alles unvergessliche Erlebnisse.
Was war das Erfolgsgeheimnis?
Winkler: Kaum einer hatte uns zugetraut, dass wir überhaupt die Liga halten. Peter Pacult war der einzige Spieler, der über längere Zeit höherklassig gespielt hatte. Unser großes Plus war, dass uns keiner auf der Rechnung hatte. Durch die Erfolge haben wir uns dann immer mehr gefunden.