Die Spielzeit 1964/1965 schlossen die Löwen auf Rang vier in der Bundesliga ab. So richtig für Furore aber sorgten die Sechziger im Europapokal der Pokalsieger. Über Luxemburg, Porto, Warschau und den AC Turin – ein Entscheidungsspiel in Zürich entschied über die Finalteilnahme – trafen sie in Wembley auf West Ham United. Trotz der Niederlage blieb der 19. Mai 1965 bis heute unvergessen.
Im Sommer hatten die Löwen ihre Abwehr verstärkt. 50 Gegentreffer in der Bundesliga-Premierensaison waren Trainer Max Merkel entschieden zu viel. Mit Bernd Patzke (Standard Lüttich), Ex-Nationalspieler Alfred Pyka (Westfalia Herne) und Radis Landsmann Stefan Bena (Vojvodina Novi Sad) wurden gleich drei Top-Leute für die Defensive verpflichtet.
Wie im Jahr zuvor begann die Saison gegen die Löwen aus Braunschweig, diesmal aber im Eintracht-Stadion. Die Freude über das 1:1 wurde durch die Heimniederlage eine Woche später gegen Eintracht Frankfurt getrübt. Zunächst reihte sich der Pokalsieger im Mittelfeld ein. Erst zum Ende der Hinrunde gelang durch ein 2:1-Heimsieg über den Meidericher SV, den Vize-Meister des Vorjahres, der Sprung auf Rang drei.
In den ersten neun Spielen der Rückserie gab es für die Löwen nur eine Niederlage – erneut gegen die Frankfurter Eintracht. Somit standen die Sechzger am 24. Spieltag auf Platz eins, punktgleich mit dem 1. FC Nürnberg. Doch das Tanzen auf mehreren Hochzeiten forderte seinen Tribut. Es folgten drei Niederlagen am Stück in Stuttgart, gegen Köln und in Bremen. Das sorgte für das Aus im Titelrennen. Dazwischen lag die peinliche Heimniederlage des Titelverteidigers im DFB-Pokal gegen Regionalligist FSV Mainz 05. Die Löwen beendeten die zweite Bundesliga-Saison auf Rang vier, sechs Punkte hinter Überraschungsmeister Werder Bremen.
DER EUROPAPOKAL
Wenig Mühe hatten die Löwen in der 1. Runde des Europapokal der Pokalsieger mit US Luxemburg. Im Achtelfinale wartete mit dem FC Porto schon ein anderes Kaliber. Nach einem 1:0-Erfolg in Portugal reichte den Löwen zu Hause ein 1:1. Weniger Probleme gab’s im Viertelfinale. In Polen wurde Legia Warschau mit 4:0 entzaubert, im Rückspiel ließen es die Sechzger locker angehen, kamen aber beim 0:0 nie in Not.
Ein richtiger Kracher wartete im Halbfinale mit AC Turin. Ein pikantes Los, denn der italienische Traditionsklub warb schon seit Monaten um Löwen-Mittelstürmer Rudi Brunnenmeier, der auch bereits eine Art Vorvertrag bei den Italienern unterschrieben hatte. Zum Zeitpunkt, als die Europacup-Duelle anstanden, verspürte Brunnenmeier aber längst keine Lust mehr, zu wechseln.
Am 20. April fand die erste Partie in Turin statt. Die Sechziger mussten glücklich sein, dass sie lediglich 0:2 unterlagen. Die Italiener wähnten sich ihrerseits bereits im Finale, betrachteten das Rückspiel nur noch als Formsache. Die 40.000 Zuschauer im Sechz’ger Stadion waren trotz des schlechten Wetters „heiß“ wie selten zuvor, brüllten ihre Löwen immer wieder nach vorn. Schon nach 14 Minuten belohnte Otto Luttrop die bedingungslose Unterstützung: Mit einem Freistoß aus 20 Metern traf „Atom-Otto“ zum 1:0. Peter Grosser lieferte eines seiner brillantesten Spiele im Löwen-Trikot, fädelte im Mittelfeld einen Angriff nach dem anderen ein. So auch in der 28. Minute, als er Fredi Heiß am rechten Flügel freispielte, der zum 2:0 traf. Auch nach der Halbzeit ließen weder die Löwen noch die Anhänger nach. Luttrop traf per Foulelfmeter zum 3:0 (52.). Doch in der Schlussphase traf Stopper Remo Lancioni nach einer Ecke per Kopf. Hätte es damals bereits die Regel vom „doppelt“ zählenden Auswärtstor gegeben, wäre Turin mit diesem Ergebnis durch gewesen.
So aber traf man sich nochmal zum großen Showdown. Das Letzigrundstadion in Zürich wurde von der UEFA als Austragungsstätte der Entscheidung auserkoren. Über 100 Busse machten sich auf den Weg in die Schweiz. Es regnete aus Kübeln.
Petar Radenkovic präsentierte sich in einer wahren Prachtform, hielt die Löwen im Spiel. In der 59. Minute konterten die Sechzger den Gegner aus, Hansi Rebele erzielte das 1:0. Alles klar machte Luttrop per Foulelfmeter (89.). Die Löwen standen im Finale.
Der Gegner hieß West Ham United. Austragungsort war das Wembley-Stadion – ein Vorteil für die Engländer. Trotzdem: Die ganz in Weiß auflaufenden Sechzger hielten mit. Und die brittischen Zuschauer staunen Bauklötze über den Münchner Torhüter. Drei Minuten vor der Pause prasselt der Beifall der 97.000 Zuschauer (davon 12.000 Löwen-Anhänger) über dem „Radi“ zusammen, als er einen Mordsschuss aus dem oberen Winkel kratzte.
Mit 0:0 wurden die Seiten getauscht. Nach Wiederanpfiff traf Geoff Hurst den Pfosten. In der 69. Minute war es passiert. Rechtsaußen Alan Sealey erzielte das 1:0. Nur zwei Minuten später machte erneut Sealey den Sechzigern endgültig den Garaus. Damit war der Traum vom Europacup-Gewinn für die Löwen ausgeträumt. Dennoch gab’s für die Münchner massenhaft Komplimente. „Eins der besten Spiele, das je in Wembley stattfand“, urteilte der „Daily Express“.
Auch in München herrschte nicht lange Traurigkeit vor. Nachdem die Sechziger wieder in Riem gelandet waren, ging’s per Autokorso im Triumphzug in die Stadt, wo Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel die „Helden von Wembley“ auf dem Rathausbalkon empfing. Viele Spieler hatten einen Bowler auf, die traditionelle englische Kopfbedeckung, und damit auch die Lacher auf ihrer Seite.
KURIOSES
Gaudi im Hotel
Vor dem Europacup-Spiel in Luxemburg hatten die Löwen in einem der größten Hotels der Stadt Quartier bezogen. Hunderte von Gästen logierten dort und hatten am Abend, wie üblich, ihre Schuhe vor die Zimmer gestellt, damit diese vom Hotelpersonal in der Früh geputzt würden. Ein gefundenes Fressen für ein paar Witzbolde im Team der Sechzger. Zwei Spieler schlichen sich nachts durch sämtliche Stockwerke und vertauschten kunterbunt alle Schuhe. Der Ärger und das Gezeter am nächsten Morgen war riesengroß, und es war natürlich klar, dass dafür nur die Fußballer verantwortlich sein konnten. Max Merkel war auch nicht zum Lachen zumute. „Hoffentlich foit eich im Schpui was bessers ei“, grantelte der Trainer. Die beiden Bösewichte wurden schließlich entlarvt. Es waren Bernd Patzke und Otto Luttrop.
Bundesliga-Rekordsieg
Zwei Bundesliga-Heimspiele – 15 Tore! Und das alles innerhalb von nur einer Woche. Am 20. Februar 1965 gewann der TSV 1860 mit 6:4 gegen Hertha BSC, acht Tage später gab’s sogar ein 9:0 gegen den Karlsruher SC. Nach wie vor der Rekordsieg für die Sechziger in der Bundesliga. Einer bekam leider nicht alle neun Tore mit: Petar Radenkovic. Denn während des Spiels fegte zeitweise ein derart wüster Schneesturm durch’s Stadion an der Grünwalder Straße, so dass man wirklich nicht mehr von einem Tor zum anderen sah. „Manchmal hatte ich das Gefühl, allein im Stadion zu sein“, feixte der Löwen-Keeper. Und noch ein Rekord wurde in diesem Spiel aufgestellt: Rudi Brunnenmeier erzielte fünf Tore – ansonsten ist das in der Bundesliga nie einem Löwen-Spieler gelungen.
INTERVIEW MIT HANS REBELE
Als 18-Jähriger kam Hans Rebele 1961 aus der eigenen Jugend in die Oberligamannschaft. Der Durchbruch gelang ihm aber erst in der Saison 1964/65 im Europacup. Sein erstes Spiel machte er im Halbfinale des Pokalsieger-Wettbewerbs beim AC Turin. Für die Löwen brachte es der technisch starke Offensivspieler in der Bundesliga auf 115 Einsätze (23 Tore). Insgesamt bestritt er für die Sechzger 225 Punktspiele (50 Treffer).
Herr Rebele, Sie waren in der Saison 1964/65 ein junger Spieler von 21, 22 Jahren, schafften damals den Durchbruch.
Hans Rebele: Ja, dabei wollte ich eigentlich weggehen. Zum Glück für mich verletzte sich Berti Krauß und fiel länger aus. Obwohl ich eigentlich Halbstürmer war, entschied sich Trainer Merkel für mich auf der Linksaußen-Position.
Und dann durften Sie gleich im Europapokal der Pokalsieger ran…
Rebele: Mein erstes Spiel machte ich im Halbfinale beim AC Turin. Wir verloren 0:2, aber ich bekam gute Kritiken. Das Rückspiel im Grünwalder gewannen wir mit 3:1. Die Euphorie und Stimmung war einfach sensationell.
Aber bei 0:2 und 3:1 ist man bei der Europapokal-Arithmetik doch ausgeschieden?
Rebele: Damals haben Auswärtstore noch nicht doppelt gezählt. Beim Entscheidungsspiel in Zürich gelang mir beim 2:0-Sieg auf Vorlage von Fredi Heiß sogar das vorentscheidende 1:0.
Waren Sie damals schon Profi?
Rebele: Zu Saisonbeginn bin ich noch ganz normal arbeiten gegangen. Ich war Azubi als Bankkaufmann bei der Bayerischen Vereinsbank. Abends genoss ich dann mit zwei weiteren Spielern ein Sondertraining bei Max Merkel, der ja als Schleifer bestens bekannt war. Für mich war es keine leichte Zeit, die Doppelbelastung enorm. Aber es hat sich ausgezahlt. Innerhalb von zwei Monaten schaffte ich den Sprung von der Reserve in die Nationalmannschaft.