SECHZIGMÜNCHEN.
 

Blick zurück: Saison 1983/1984.

Das Löwen-Team in der Saison 1983/1984, hinten (v. li.): Helmut Schmitz, Rudolf Seider, Roland Sobek, Joachim Goldstein, Alfred Buchberger, Andreas Löbmann, Michael Hecht, Paul Schönwetter, Peter Gebele, Trainer Bernd Patzke. Vorne (v. li.): Erich Beer, Gerald Hillringhaus, Peter Sirch, Wiggerl Kögl, Jürgen Korus. 

Es war einmal mehr eine verrückte Spielzeit. Zwischenzeitlich hatten die Löwen in ihrer zweiten Bayernliga-Saison 1983/1984 elf Punkte Rückstand auf die SpVgg Fürth. Nachdem Bernd Patzke als Trainer übernommen hatte, ging’s steil bergauf. Am Ende stand die Bayerische Meisterschaft. In der Vierer-Aufstiegsrunde war bis zum letzten Spiel alles offen. Der TSV 1860 hätte 2:0 beim VfR Bürstadt gewinnen müssen, unterlag aber deutlich mit 0:4. Das hieß ein weiteres Jahr Bayernliga.

Am Anfang der Saison hätte niemand im Traum daran gedacht, dass die Löwen bis zum kommenden Sommer noch ernsthaft um die Rückkehr in den bezahlten Fußball mitspielen. Zwar hatte Präsident Ritchie Müller die Mannschaft um die Säulen Erich Beer, Joachim Goldstein, Michael Perfetto, Günther Enhuber, Gerald Hillringhaus und Torjäger Andi Löbmann mit erfahrenen Bayernligaspielern verstärkt – Paul Schönwetter kam vom MTV Ingolstadt, Helmut Schmitz von der SpVgg Bayreuth und von den in der Aufstiegsrunde gescheiterten Unterhachingern Kurt Eigl, Peter Gebele und Richard Stöckle –, doch der Saisonauftakt lief alles andere als rund.

Erst im vierten Spiel auf Giesings Höhen gelang der erste Heimsieg mit 3:0 über den MTV Ingolstadt nach drei Unentschieden zuvor. Es sollte der einzige bis in den November bleiben. Dann besiegte der TSV 1860 den FC Bayern Hof mit 4:0. Zuvor gab es Niederlagen im Grünwalder Stadion gegen Schwaben Augsburg, FC Memmingen und FC Vilshofen.

Zu diesem Zeitpunkt war die SpVgg Fürth an der Tabellenspitze bereits enteilt. Nach der Vorrunde standen die Löwen mit 21:17-Punkten lediglich auf Platz acht. Das Kleeblatt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits neun Zähler bei der Zwei-Punkte-Regel Vorsprung. Kein Wunder, dass sich zum letzten Heimspiel der Hinserie gegen den TSV Eching gerade mal 1.200 Zuschauer im Grünwalder Stadion verloren. Sie sahen ein trostloses 0:0.

Zu diesem Zeitpunkt hatte längst der übliche Mechanismus gegriffen: Trainer Kurt Schwarzhuber musste weichen, für ihn übernahm interimsweise für drei Spiele Erich Beer die Verantwortung. Dann kam Bernd Patzke, Meisterspieler von 1966. In Südafrika hatte der Berliner reichlich Erfahrung als Trainer gesammelt. Der frühere Verteidiger schaffte sofort die Wende. Mit dem 3:0-Erfolg bei Jahn Regensburg starteten die Löwen eine Serie. Plötzlich sprühte die Mannschaft vor Selbstvertrauen. Vor allem im Sturm begeisterten mit Jürgen Korus und Ludwig „Wiggerl“ Kögl zwei Eigengewächse.

Sechzig gewann Spiel um Spiel, während Fürth ins Straucheln geriet. Nach dem 5:1-Erfolg über die SpVgg Bayreuth am 80. Geburtstag von Ehrenpräsident Adalbert Wetzel waren es nur noch vier Punkte Rückstand auf die Mittelfranken. Als Torhüter Hillringhausen gegen Schwaben Augsburg patzte und die Löwen nach acht ungeschlagenen Spielen unter Patzke erstmals verloren (2:3), starteten sie einfach eine neue Serie.

Am Gründonnerstag 1984 kam es dann zum großen Show-down auf Giesings Höhen. Am 19. April war das Stadion an der Grünwalder Straße rappelvoll, 31.700 Zuschauer sorgten für eine neue Bestmarke im deutschen Amateurbereich. Der Gegner hieß SpVgg Fürth, war Tabellenführer in der Bayernliga und Monate zuvor mit elf Punkten Vorsprung den Löwen eigentlich schon uneinholbar davongeeilt gewesen.

Vor dem Schlager am Gründonnerstag lagen die Sechzger nach Minuspunkten nur noch zwei Zähler hinter dem Kleeblatt. Es folgte eine rauschende Ballnacht. Schon nach 36 Minuten führten die entfesselt aufspielenden Löwen mit 5:0, am Ende hieß es 6:1 – das Stadion bebte in seinen Grundfesten.

Nach Minuspunkten hatte man die Fürther nun eingeholt, und einige Wochen später war’s tatsächlich geschafft. Der TSV 1860 war Bayernliga-Meister und durfte an der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga teilnehmen.

Dort hatten es die Löwen mit dem FC 08 Homburg, dem VfR Bürstadt und dem Freiburger FC zu tun, alles alte Bekannte aus gemeinsamen Zweitliga-Zeiten. „Jetzt dürfen wir die Fans nicht enttäuschen. Wir müssen aufsteigen", so Präsident Müller. Nach der erfolgreichen Aufholjagd wurde das auch von den Fans erwartet.

Das erste Heimspiel gegen Bürstadt verlegte der TSV 1860 wegen des großen Interesses ins Olympiastadion. Finanziell sicher eine gute Entscheidung, schließlich kamen 38.000 Zuschauer, sportlich eher kontraproduktiv, denn mehr als ein torloses Remis sprang nicht heraus. Drei Tage später gab es mit der 2:3-Niederlage in Homburg einen weiteren Rückschlag. Durch einen 4:2-Erfolg nach 0:2-Rückstand gegen den Freiburger FC im heimischen Grünwalder Stadion wurde die Minimalchance gewahrt. Es folgten zwei Niederlagen in Freiburg und gegen Homburg. Zwar standen die Löwen auf dem letzten Platz, hätten aber im letzten Spiel noch hinter den enteilten Saarländern auf Platz zwei springen können. Dazu wäre ein Sieg in Bürstadt mit zwei Toren Unterschied nötig gewesen. Doch die kräftezehrende Aufholjagd hatte längst ihren Tribut gefordert. Die letzte Partie ging deutlich mit 0:4 verloren. Damit war das dritte Jahr in der Bayernliga besiegelt.


KURIOSES

Wiggerl wirbelt nur eine Saison
Mitte der Rückrunde zog Trainer Bernd Patzke plötzlich einen Joker aus dem Ärmel, der die Löwen-Fans schier entzückte. Ludwig „Wiggerl“ Kögl hieß er, war noch nicht ganz 18, durfte noch in der A-Jugend auflaufen, spielte aber gleich auf wie ein „Alter“. Er war zwar ein Linksfuß, fühlte sich auf dem rechten Flügel jedoch pudelwohl. Vor allem auf Kögl und seinen Kollegen vom linken Flügel, Jürgen Korus, sorgten dafür, dass es überhaupt noch was mit der Aufstiegsrunde wurde. Doch da war der Dampf bei den Youngsters schon ziemlich raus. Wiggerl verließ nach dieser Saison die Löwen, wechselte zum FC Bayern, wurde dort fünfmal Deutscher Meister und Nationalspieler.

Österreichische Polizei
Trotz der 0:4-Niederlage im letzten Spiel in Bürstadt gestaltete sich die Heimfahrt feuchtfröhlich. Zehn Kartons Sekt waren vom Ortner Sigi, einem Gönner des Vereins, an Bord des Busses deponiert worden, und die machten die Löwen jetzt erst recht nieder. Nach einer gewissen Zeit hatte fast jeder einen Vollrausch. Auch der Busfahrer ließ sich von der verrückten Stimmung anstecken, bretterte mit Vollgas über die Autobahn und schnitt einen Porsche-Fahrer derart, dass dem nichts anderes übrigblieb, als in die Böschung zu fahren. Nach einiger Zeit wurde der Löwen-Bus von der Polizei gestoppt, die vom Porsche-Lenker alarmiert worden war. Der Ortner Sigi stieg aus und lallte rum: „Ui, a österreichische Polizei in Deitschland, wia gibts’n des?“ Er hatte das S auf dem Einsatzwagen gesehen und es für ein Salzburger Kennzeichen gehalten. Tatsächlich aber war es natürlich ein Stuttgarter Kennzeichen, da man sich in Baden-Württemberg befand. Für den Busfahrer war das ganze übrigens ein teurer Spaß. Ihm wurde später der Führerschein abgenommen …


INTERVIEW MIT LUDWIG KÖGL

In der Saison 1983/1984 ging der Stern von Ludwig „Wiggerl“ Kögl auf. Mit nicht ganz 18 Jahren gab er sein Debüt im Löwen-Trikot und war sofort der Liebling der Fans. Nach lediglich zwölf Spielen (2 Tore) in der Bayernliga und sechs Partien in der Aufstiegsrunde wechselte der gebürtige Penzberger zum FC Bayern. Wäre der Zweitliga-Aufstieg geglückt, wäre der Youngster bei Sechzig geblieben.

Herr Kögl, ihre Karriere begann bei den Sechzigern, obwohl Sie bereits damals gerne der FC Bayern verpflichtet hätte?
Ludwig Kögl: Früher, zu meiner Jugendzeit, hatte Sechzig bei uns in Penzberg ganz klar die Oberhand. Da sind reihenweise Busse zu den Löwenspielen gefahren. Ich wollte lange nicht von meinem Heimatverein FC Penzberg weggehen, obwohl mir schon sehr früh Angebote von beiden Klubs vorlagen. Als ich 17 Jahre war, haben die Löwen dafür gesorgt, dass ich mit einer Sondergenehmigung früher den Führerschein machen konnte. Also bin ich 1983 in die A-Jugend der Sechzger gewechselt.

Im Nachwuchs haben Sie nicht lange gespielt. Sehr schnell kam es zum Debüt in der Bayernliga-Mannschaft …
Kögl: Ich spielte drei Monate in der A-Jugend, bin dann zum U18-Nationalspieler geworden. Kurze Zeit später rückte ich unter Trainer Bernd Patzke in die erste Mannschaft auf. Mein erstes Bayernliga-Spiel, ein Kurzeinsatz, machte ich im Dezember gegen Wacker München. In der Rückrunde spielte ich regelmäßig, und wir gewannen fast jedes Spiel. Es herrschte eine sensationelle Stimmung in der Mannschaft. Erich Beer war mein Zimmerkollege. Zwischenzeitlich hatten wir acht oder neun Punkte Rückstand auf Fürth. Als es dann im April im Grünwalder Stadion zum Aufeinandertreffen beider Teams kam, lagen wir nur noch zwei Punkte hinter Fürth. Für mich ist dieses Spiel in bleibender Erinnerung, weil wir vor über 30.000 Zuschauern Fürth mit 6:1 besiegten. Bereits nach 36 Minuten führten wir mit 5:0. Am Ende wurden wir noch Bayernligameister, scheiterten aber in den Aufstiegsspielen zur Zweiten Liga.

Danach wechselten Sie zum Erzfeind FC Bayern. Wären Sie bei einem Zweitliga-Aufstieg geblieben?
Kögl: Ich hatte schon einen Vertrag bei Sechzig für die Zweite Liga unterschrieben. Nach dem Scheitern in der Relegation entschied ich mich für die Bayern. Insgesamt lagen mir damals 13 Angebote aus der Bundesliga vor.

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