Die Spielzeit 1988/1989 war ein Übergangsjahr. Nach dem Ausstieg von Präsident und Mäzen Karl Heckl saß das Geld nicht mehr so locker. Aus der A-Jugend, die in diesem Jahr Bayerischer Meister wurde, erhielten einige Talente eine Chance in der ersten Mannschaft. Als Trainer fungierte Willi Bierofka. Der 5. Platz am Ende der Saison konnte mit dieser Mannschaft als Erfolg gewertet werden. Mehr war nicht zu erwarten. Mit 29 Treffern avancierte Löwen-Stürmer Andi Löbmann zum erfolgreichsten Torschützen der Bayernliga.
Nach dem Rücktritt von Karl Heckl herrschte beim TSV 1860 erst mal Ratlosigkeit. Der Geldgeber war weg und viele andere suchten ebenfalls das Weite. Klar, ohne Heckl gab’s bei den Löwen keine fetten Fleischtöpfe mehr. Manager Frank Fleschenberg und Trainer Uwe Klimaschefski verabschiedeten sich ebenso wie viele Spieler, die immer gut verdient, aber nur wenig dafür geleistet hatten. Als einziger hielt die Stellung noch Geschäftsführer Martin Unger. „Wir müssen schauen, dass wir eine Mannschaft zusammenbauen können, die nicht in die Landesliga absteigt“, war seine bescheidene Vorgabe.
Und schön langsam tat sich was. Der ehemalige Libero Helmut Schmitz wurde Abteilungsleiter, Liselotte Knecht, die Vizepräsidentin aus der Turnabteilung, wurde auf den Präsidentenstuhl gehievt, und neuer Trainer wurde Willi Bierofka, Mitglied der Aufstiegself von 1977 und bei den Fans sehr beliebt.
Glück für die Löwen: In diesem Jahr besaßen sie eine starke A-Jugend, die Bayerischer Meister geworden war. Die halbe Mannschaft, darunter Martin Spanring, konnten aus dem Nachwuchs in den Bayernliga-Kader übernommen werden. Dazu kamen die Heimkehrer Anton Schmidkunz und Jürgen Korus, Srdjan Colakovic von der SpVgg Starnberg sowie Stephan Beckenbauer und Stephan Windsperger von den Bayern Amateuren. Eine junge Mannschaft (Durchschnittsalter um die 21 Jahre), die starke bayerische Züge hatte und mit der sich die Fans identifizieren konnten.
Der Saisonstart verlief gut. Gleich im ersten Spiel im Grünwalder Stadion wurde vor 8.300 Zuschauern der 1. FC Amberg mit 7:0 abgefertigt. Es folgte ein 1:0-Sieg beim VfL Frohnlach und zum zweiten Heimspiel gegen die SpVgg Unterhaching fanden sich 25.000 Zuschauer auf Giesings Höhen ein – eine Kulisse, wie sie es schon lange nicht mehr gab. Die Partie endete 1:1.
Es ging so weiter. Nach drei Heimspielen hatten schon 40.0000 Zuschauer den Weg ins Grünwalder Stadion gefunden. Kalkuliert worden war mit einem Schnitt von 2.500. Diesen hatte man nach drei von 16 Heimpartien bereits erreicht (!). Die erste Niederlage setzte es am 8. Spieltag mit 1:2 beim TSV Vestenbergsgreuth im Nürnberger Frankenstadion. Die junge Mannschaft ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Aber etwas anderes machte der Bierofka-Elf zu schaffen. Nacheinander fielen immer mehr Stammspieler aus. Irgendwann war das nicht mehr zu kompensieren.
Im ersten Spiel nach der Winterpause setzte es eine 1:4-Niederlage in Schweinfurt. Es war das erste von drei verlorenen Spielen in Folge. Damit lag plötzlich ein größerer Abstand zu den beiden Spitzenteams Unterhaching und Schweinfurt, den die Löwen nicht mehr verringern konnten. Im Gegenteil: Am Ende hatten auch noch der TSV Vestenbergsgreuth und der FC Augsburg die Nase vor den Sechzgern. Schließlich hatte man von der jungen Mannschaft auch nicht mehr erwartet.
Angesichts eines Zuschauerschnitts von 6.240 Fans hatten die Löwen ein dickes Plus erwirtschaftet. Das Konzept einer kontinuierlichen Aufbauarbeit versprach Erfolg. Zudem hatte man einige junge, hoffnungsvolle Talente, allen voran Martin Spanring, integriert. Andi Löbmann brachte es auf immerhin 29 Treffer und holte sich die Bayernliga-Torjägerkanone. Leider verließ er den Klub nach Saisonende zum FC Wettingen in die Schweiz. Denn groß Geld zu verdienen gab es damals nicht mehr beim TSV 1860. Die Spitzengage lag bei 2.000 Mark im Monat, der eine oder andere kickte auch für 300 Mark.
Wahrscheinlich war das mit ein Grund, warum sich alle Spieler so gut verstanden. Es gab – anders als in den Jahren zuvor – keinen Neid und es herrschte eine prima Stimmung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein paar begnadete „Entertainer“ in den Reihen der Löwen waren. Klaus Wabra, Jürgen Korus oder Martin Spanring zum Beispiel.
KURIOSES
Fans bringen Spieler ins Stadion
Am 6. Spieltag stand die Partie im Rosenaustadion gegen Schwaben Augsburg auf dem Programm. Auf der Fahrt in die Fuggerstadt gab der Mannschaftsbus der Löwen mit einer Panne seinen Geist auf. 1860-Fans, die vorbeikamen, hielten an und chauffierten die Spieler in ihren Privatautos nach Augsburg, so dass die Partie pünktlich angepfiffen werden konnte. Das Team bedankte sich mit einem 4:1-Erfolg.
Feierbiest mit Hang zu guter Kost
Klaus Wabra war stets etwas übergewichtig. Trainer Uwe Klimaschefski empfahl ihm einst, nicht mehr „aus der Badewanne zu fressen“. In der Saison 1988/1989 kam Wabra lediglich auf fünf Einsätze, aber außerhalb des Fußballplatzes hörten alle auf ihn. Sogar Trainer Willi Bierofka, wenn’s darum ging, im Trainingslager die Freizeitgestaltung zu planen. Roland Kneißl, einer seiner besten Freunde im Team, sagte mal über Wabra: „Vom Können her brachte der Klaus alles mit. Aber er hat sein Talent verschleudert. Vor allem, weil er einen Satz nie sagen konnte: ‚Ich geh jetzt heim…‘“
Kettenrauchender Eckenspezialist
Herbert Brieger, der 1988 zu den Löwen stieß, galt als durchaus talentierter Mittelfeldspieler. Aber was ihm vor allem fehlte, war eins: Kondition. Brieger war Kettenraucher und ihn störte es besonders, wenn’s einen Eckball für die Löwen gab. Für die war nämlich er zuständig. Und wenn er den „weiten“ Weg zur Fahne raus antreten musste, hörte man ihn hin und wieder fluchen: „Zefix, schon wieder a Ecke!“ Trainer Willi Bierofka wusste um das Laster von Brieger: „War ja auch nicht zu verheimlichen. In der Halbzeit hat er immer dermaßen gehustet, dass wir gemeint haben, er erstickt uns und wir müssen den Notarzt holen. Brieger allerdings wollte uns immer weismachen, das er erkältet sei.“
Heckl enterbt die Löwen
Als die Nachricht am 16. September 1988 während des Heimspiels gegen die SpVgg Weiden die Runde machte, war jeder entsetzt: Karl Heckl war in der Nacht zuvor im Alter von 62 Jahren an
einem Herzinfarkt gestorben. Der ehemalige Präsident hinterließ u. a. eine Tochter, die gerade mal drei Wochen alt war. Dem TSV 1860 hinterließ er nichts mehr. Dabei hatte Heckl ursprünglich in seinem Testament festgelegt, dass der Verein im Falle seines Ablebens jährlich eine Million Mark erhalten sollte. Einige Wochen später jedoch änderte Heckl das Testament wieder. Grund: Abfällige Bemerkungen seiner Nachfolgerin Liselotte Knecht, die kurz nach Amtsantritt in Heckls Büro anrief und fragte, wo sich denn das Sonderkonto des TSV 1860 mit den ganzen Millionen befinde. Als Heckl davon erfuhr, raste er vor Zorn. Schließlich hatte er nach seinem Rücktritt noch alle Schulden beglichen (mit Ausnahme von 750.000 Mark, die noch aus der Zeit vor ihm stammten) und Geschäftsführer Martin Unger die jährliche Millionen-Erbschaft für den Verein versprochen. Tief gekränkt jedoch enterbte Heckl die Löwen wieder.
INTERVIEW MIT MARTIN SPANRING
Der Münchner Martin Spanring gab mit 19 Jahren sein Debüt für die Löwen. In zwei Jahren bestritt er 38 Bayernliga-Spiele für die Sechzger, erzielte dabei fünf Tore. 1990 wechselte er zu Bundesliga-Aufsteiger Fortuna Düsseldorf. Es folgten der FC Schalke 04, VfB Stuttgart und der SC Freiburg. Insgesamt bestritt Spanring in seiner Karriere 172 Bundesliga-Spiele (10 Tore) und schaffte 1998 mit dem VfB den Finaleinzug in den Europacup der Pokalsieger gegen den FC Chelsea. Aufgrund einer Gelbsperre verpasste er dieses jedoch. Außerdem spielte der Abwehrspieler in der U21 und in der Olympia-Auswahl für Deutschland.
Herr Spanring, in der Saison 1988/1989 gaben Sie Ihr Debüt für 1860 in der Bayernliga. Was ist Ihnen noch in Erinnerung?
Martin Spanring: Wir hatten damals über das ganze Jahr hinweg eine supertolle Stimmung im Team. Ebenso, dass ich mit meinen besten Freunden zu dieser Zeit, Markus Lach und Markus Wolf, noch ein Jahr im Seniorenbereich spielen durfte.
Sie kamen damals aus der erfolgreichen Löwen-A-Jugend, die Bayerischer Meister wurde. Wieso sind Sie der Einzige gewesen, der den Sprung in den Profi-Bereich schaffte?
Spanring: Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Ich persönlich hatte das Glück, in der Bayerischen Amateurauswahl zu spielen, die in diesem Jahr auch Länderpokalsieger wurde. Dort bin ich beim Finale einigen Spähern aus der Bundesliga positiv aufgefallen.
Willi Bierofka war damals Ihr Trainer. Was war er für ein Typ?
Spanring: Ich habe mich mit ihm sehr gut verstanden. Er hatte immer ein offenes Ohr für die kleinen Probleme von uns jungen Spielern. Willi Bierofka ist sehr verantwortungsbewusst mit uns umgegangen und verstand es, den Druck von uns zu nehmen. Deshalb konnten wir befreit aufspielen, was bei vielen jungen Spielern heute nicht mehr möglich ist.
Als Fünfter mit 13 Punkten Rückstand auf Meister SpVgg Unterhaching schaffte der TSV 1860 erneut nicht die Relegationsrunde zur Zweiten Liga. Was waren die Gründe?
Spanring: Man darf nicht vergessen, dass genau in diesem Jahr ein Umbruch stattfand. Ziel war es damals, erst einmal die Klasse zu halten. Dass der Kader mit so viel neuen und jungen Spielern in die Saison gegangen ist, hat schon ein Risiko mit sich gebracht. Die Presse sprach sogar von einer nicht bayernligatauglichen Zusammensetzung. Deswegen war am Ende Platz fünf ein großer Erfolg.
Wieso verließen Sie die Löwen?
Spanring: Ich hatte einige Anfragen von Bundesligavereinen wie Schalke, Leverkusen und Düsseldorf. Der damalige Fortuna-Manager Karl-Heinz Thielen machte sich die Mühe und ist nach München gekommen, um mich und meine Eltern zu besuchen und mir von Trainer Alexander Ristic vorzuschwärmen Das hat mich überzeugt.
Haben Sie in Ihrer Karriere einmal daran gedacht, zu Sechzig zurückzukehren?
Spanring: Ja, sehr oft sogar. Ich habe mich immer für die Löwen interessiert und tue es auch heute noch. Leider waren bei 1860 immer die falschen Leute an den wichtigen Positionen, die meine Rückkehr nicht unbedingt unterstützt haben. Aber wie sagt man so schön: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Vielleicht werde ich früher oder später doch noch mal bei den Löwen landen.