Der Endspurt in der Bayernliga-Spielzeit 1989/1990 der Löwen war fantastisch. Unter Karsten Wettberg, der zwölf Spiele vor Saisonende Willi Bierofka als Trainer ablöste, gab es keine Niederlage mehr. Trotzdem reichte es nicht zur Relegation, weil am letzten Spieltag im „Endspiel“ gegen Schweinfurt 05, trainiert von Werner Lorant, nur ein 3:3 heraussprang. Hätte Sechzig gewonnen, wären nicht die Franken, sondern die Löwen in die Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga eingezogen.Â
Die bereits in der Vorsaison begonnene Aufbauarbeit in der Nach-Heckl-Ära wurde fortgesetzt. Trotzdem wurde von Trainer Willi Bierofka der Aufstieg eingefordert. Einmal mehr war die Fluktuation enorm, aber es schien mehr Qualität unter den Neuzugängen zu sein als in den Jahren zuvor. So kam Walter Hainer von Bayernliga-Absteiger SpVgg Landshut, Mittelfeldspieler Armin Störzenhofecker und Verteidiger Thomas Miller aus Augsburg. Außerdem wurde Rainer Maurer aus Basel verpflichtet, der zuvor beim FC Bayern und VfB Stuttgart bereits Bundesliga-Erfahrung gesammelt hatte. Mit dem Belgier Bobby Dekeyser holten die Löwen aus Gent einen Torhüter.
Der Saisonstart verlief vielversprechend. Am 1. Spieltag gab es einen 2:1-Erfolg beim TSV Vestenbergsgreuth. Bei der Heimpremiere wurde der VfL Frohnlach vor 12.000 begeisterten Fans mit 6:0 förmlich demontiert. Sechzig war Tabellenführer! Doch eine Woche später setzte es beim 2:3 in Ingolstadt die erste Niederlage. Es folgte ein 1:1 zu Hause gegen Memmingen, womit die Löwen wieder in der Wirklichkeit der Bayernliga angekommen waren.
Danach fing sich das Bierofka-Team wieder, sammelte eifrig Punkte trotz wenig überzeugender Leistungen. Doch der Abstand auf den FC Schweinfurt 05 konnte nicht verringert werden. Im letzten Vorrundenspiel bei den Schnüdel bestand dazu Gelegenheit. Doch die Unterfranken ließen vor heimischer Kulisse von 14.000 Zuschauern den Sechzgern keine Chance, gewannen mit 3:0 und sicherten sich die Herbstmeisterschaft.
Eine lange Verletzungsserie hatte dazu beigetragen, dass der Abstand angewachsen war. Kapitän Roland Kneißl fiel bis Weihnachten aus, Rainer Mauerer, Bobby Dekeyser und Ralph Müller-Gessner mussten noch während der Hinserie operiert werden. Ähnlich sah es in der zweiten Saisonhälfte aus. Da erwischte es Jürgen Wolke, Albert Gröber, Srdian Colakovic und Reinhold Breu. Hinzu kam der Abgang von Martin Spanring, der nach der Hinrunde zu Bundesligist Fortuna Düsseldorf gewechselt war.
Angesichts von sieben Punkten Rückstand auf Schweinfurt zur Winterpause stellten die Löwen die Weichen bereits für die kommende Saison, verpflichteten Karsten Wettberg von Zweitligist SpVgg Unterhaching zum 1. Juli 1990. Willi Bierofka sollte die Mannschaft weiter bis zum Saisonende führen. Doch Haching reagierte, sah die Vertragsunterzeichnung ihres Trainers beim Nachbarn als Affront und setzte Wettberg vor die Tür. Der übernahm bereits zum 21. Februar 1990 von Bierofka, verlor keins der folgenden elf Punktspiele nach seinem Amtsantritt und schloss nach 16:2-Punkten und 22:3-Toren zu Schweinfurt auf.
Wettberg hatte mit seiner impulsiven Art und seinem grenzenlosen Optimismus neues Feuer bei den Löwen entfacht und wurde schnell zum Publikumsliebling. Monatelang hatte er auf das „Endspiel“ am letzten Spieltag gegen Schweinfurt hingearbeitet. Am vorletzten Spieltag, nach dem 1:1 in Helmbrechts, war es soweit. Eine Partie übrigens, bei der es drunter und drüber ging. Die Polizei lieferte sich eine regelrechte Schlacht mit den Löwen-Fans (auch mit vielen unschuldigen) und zwei 1860-Spieler wurden von Polizeihunden gebissen: Roland Kneißl und Bernhard Meisl.
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Als am letzten Spieltag der Saison 1989/1990 der TSV 1860 und Schweinfurt 05 im ausverkauften Stadion an der Grünwalder Straße aufeinandertrafen, ging es im direkten Duell um Platz eins, die Bayernliga-Meisterschaft und die Teilnahme an der Aufstiegsrunde. Ein echtes Finale. Die Schweinfurter lagen zwar um einen Punkt besser, aber ein Sieg hätte den Löwen gereicht Ungefähr 35.000 Zuschauer füllten das Sechzger bis zum Bersten, es schüttete wie aus Kübeln – aber das juckte an diesem Abend des 11. Mai 1990 niemanden.
Riesenjubel kurz vor der Halbzeit: Walter Hainer hatte per Elfmeter das 1:0 erzielt. Die Ernüchterung folgte direkt nach Wiederanpfiff: 1:1 durch Bernd Winkler, der später für die Löwen viele Tore schießen sollte. Dann das Wahnsinnstor schlechthin: Roland Kneißl traf mit der Hacke zum 2:1. Beim anschließenden Jubel verrutsche ihm aber eine Kontaktlinse und während Kneißl sich diese an der Seitenlinie wieder richtig einlegen ließ, gelang den Schnüdeln das 2:2. Etwas später sogar die 3:2-Führung nach einem bösen Patzer von Hainer. Die Löwen kämpften, gaben nicht auf, aber mehr als Maurers Ausgleichstreffer zum 3:3 war nicht drin. Schweinfurts Trainer Werner Lorant jubelte, sein Kollege Karsten Wettberg war am Boden zerstört. Wieder war eine Chance verpasst.
KURIOSES
Krönung der Trainerlaufbahn
1860-Trainer zu sein, war für Karsten Wettberg die Krönung seiner Trainer-Laufbahn. Als Jugendlicher war er regelmäßig ins Grünwalder Stadion gepilgert, hatte die glorreichen Europapokalspiele in der Saison 1964/1965 live verfolgt. So machte er den Spielern deutlich, dass es etwas Besonderes sei, für Sechzig aufzulaufen. Vor Anpfiff stimmte er die Mannschaft mit dem Schlachtruf: „57, 58, 59, Sechzig“ Sechzig! Sechzig!“ auf die Spiele ein. Seine Begeisterung für den Verein übertrug sich schnell auf die Spieler und die Fans, die alles gaben.
Der kleine Kaiser
Ein Beckenbauer bei 1860. Wurde Vater Franz wegen einer Watschn in einem Jugendspiel kein Sechzger, war es wenigstens Sohn Stephan, der für die Weiß-Blauen auflief. Nach zwei Jahren war diese Episode im Sommer 1990 wieder beendet. Beckenbauer junior, der „kleine Kaiser“, verließ die Löwen, bei denen er nie so richtig auf die Beine gekommen war. Die eine oder andere Verletzung war mit daran schuld, aber dem Sohn vom Franz mangelte es doch auch am nötigen Ehrgeiz. Hin und wieder verschlief er schon mal das Training und wurde deshalb im nächsten Spiel nicht aufgestellt. Auch nicht gerade profihaft: seine Zigarettenpausen während der Halbzeit auf der Toilette. Innerhalb der Mannschaft allerdings gab’s keine Probleme mit ihm. Stefan ließ nie raushängen, dass er der Sohn vom großen Franz war und wurde bei den Löwen schnell integriert. Weitaus größer erwiesen sich die Probleme mit den Schiedsrichtern. „Die rieben sich gern am Namen Beckenbauer“, stellte Karsten Wettberg fest, „und der Stephan ließ sich das natürlich nicht gefallen.“ Bereits im Alter von 46 Jahren am 31. Juli 2015 erlag Stephan Beckenbauer, der später lange im Nachwuchs des FCB tätig war, an einem Hirntumor.
Ehrenpräsident Adalbert Wetzel stirbt
Im Februar 1990 musste der TSV 1860 Adalbert Wetzel zu Grabe tragen. Der Ehrenpräsident war im Alter von knapp 86 Jahren am 5. Februar gestorben. 17 jahre, so lange wie kein anderer vor oder nach ihm, amtierte er als Löwen-Präsident. Als der gebürtige Allgäuer nach dem 2. Weltkrieg dem Verein beitrat, hatte er bereits ein bewegtes Leben als Geschäftsmann in Südamerika hinter sich. Von den amerikanischen Besatzern erhielt er die Lizenz zur Herstellung von Coca-Cola, womit er Teil des Wirtschaftswunders wurde. Sein Vermögen und seine Arbeitskraft widmete er viele Jahre den Löwen und legte die Grundlage für die erfolgreiche Fußball-Zeit in den 1960er Jahren.
INTERVIEW MIT ARMIN STÖRZENHOFECKER
Armin Störzenhofecker, der vor der Saison von Bayernliga-Rivale FC Augsburg an die Isar gewechselt war und später mit den Löwen dreimal aufstieg, war unentbehrlich als Dauerläufer im Mittelfeld. Für den TSV 1860 absolvierte er zwischen 1989 und 1995 91 Bayernliga-Spiele (14 Tore), 61 Zweitliga-Partien (2) und 27 Einsätze in der Bundesliga. Danach kehrte er in seine fränkische Heimat zurück, schaffte mit dem Club ebenfalls zwei Aufstiege.
Herr Störzenhofecker, Sie kamen im Sommer 1989 vom FC Augsburg zu den Löwen. War das eine große Umstellung für Sie?
Armin Störzenhofecker: Sportlich war Augsburg zu dieser Zeit ambitioniert, spielte im Jahr zuvor um den Aufstieg in die Zweite Liga mit. Bei Sechzig war Aufstieg sowieso immer Pflicht.
Und vom Umfeld her?
Störzenhofecker: Da war Sechzig ein ganz anderer Verein. Allein das Trainingsgelände und das ganze Ambiente drumherum, das Stadion, die Zuschauer – für mich ist da ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen. Und mit dem Aufstieg ein Jahr später wurde das Ganze noch gesteigert.
Mit Willi Bierofka als Trainer ging es in die Saison. Zwölf Spiele vor Saisonende wurde er von Karsten Wettberg abgelöst.
Störzenhofecker: Der Willi Bierofka hat mich geholt, aber unter ihm lief‘s nicht so rund. Darauf hat die Vereinsführung reagiert, wobei ich selbst mit ihm sehr gut ausgekommen bin. Wir hatten halt auch eine relativ junge Mannschaft. Die Mechanismen sind im Fußball eben so, und mit Wettberg hat der Verein einen Volltreffer gelandet.
Kam der Trainerwechsel zu spät?
Störzenhofecker: Im Nachhinein bin ich der Überzeugung, dass es mit der Relegation geklappt hätte, wenn er früher gekommen wäre. Als Wettberg kam, lagen wir schon weit hinter Schweinfurt zurück. Dass wir überhaupt noch rangekommen sind, war eine Riesenleistung der Mannschaft. So wurde das letzte Spiel ein richtiges Endspiel. Mit einem Sieg wären wir Meister gewesen.
Es hat trotz einer zwischenzeitlichen 2:1-Führung nicht gereicht.
Störzenhofecker: Trotzdem war dieses Spiel ein Höhepunkt in meiner Karriere, auch wenn ich später Zweite und Erste Liga gespielt habe. Es war ein Spiel, das man sein ganzes Leben nicht vergisst. Jetzt, wo ich drüber spreche, überkommt mich wieder eine Gänsehaut. Das ganze Drumherum – es war ja Dritte Liga. Da strömten 35.000 Zuschauer ins Grünwalder Stadion und draußen standen noch Tausende ohne Karte. Ein Freund von mir, der das Spiel unbedingt sehen wollte, klingelte ganz oben in den Wohnungen der Häuser in der Grünwalder Straße und fragte, ob er das Spiel dort anschauen könnte. So eine Begeisterung und Atmosphäre vergisst man sein ganzes Leben nicht.
Das Spiel endete 3:3.
Störzenhofecker: Es war total spannend. Trotz strömenden Regens ging es rauf und runter, sechs Tore sind gefallen und wir hatten kurz vor Schluss noch die Chance zum 4:3. Es sollte nicht sein, dafür hat‘s ein Jahr später geklappt.