SECHZIGMÜNCHEN.
 

Blick zurück: Saison 2004/2005.

Das Löwen-Team in der Saison 2004/2005, hinten (v. li.): Francis Kioyo, Slobodan Komljenovic, Quido Lanzaat, Physiotherapeut Stephan Rainer, Zeugwart Wolfgang Fendt, Physiotherapeut Uwe Veronik, Stefan Frühbeis, Rodrigo Costa, Christoph Lepoint. Mitte (v. li.): Co-Trainer Michael Dämgen, Rudi Bommer, Paul Agostino, Remo Meyer, Denis Bushuev, Marco Gehardt, Erol Bulut, Emmanuel Krontiris, Matthias Lehmann, Co-Trainer Rainer Maurer, Torwart-Trainer Peter Sirch. Vorne (v. li.): Karlheinz Pflipsen, Pascal Ojigwe, Daniel Baier, Timo Ochs, Michael Hofmann, Thomas Gebauer, Patrick Milchraum, Michal Kolomaznik, Harald Cerny. 

Die direkte Rückkehr in die Bundesliga wurde in der Saison 2004/2005 angepeilt. Nach schwachem Start unter Trainer Rudi Bommer schafften die Löwen nach dessen Entlassung unter dem neuen Coach Rainer Maurer eine Serie von 16 ungeschlagenen Spielen, verpassten aber am Ende knapp den Aufstieg. So zog der TSV 1860 als Zweitligist in die im Frühjahr fertiggestellte neue Arena in Fröttmaning.

Es herrschte große Niedergeschlagenheit im Sommer 2004. Nun, wo das neue Stadion, das der TSV 1860 gemeinsam mit den Bayern gebaut hatte, bald seinen Betrieb aufnehmen sollte, waren die Löwen in die Zweite Liga abgestiegen. Vorübergehend kehrte man in die alte Heimat nach Giesing zurück. Alle Partien durfte man dort nicht austragen. Hochsicherheitsspiele mussten nach wie vor im Olympiastadion stattfinden, aber zumindest den Großteil der Begegnungen absolvierten die Sechzger im altehrwürdigen Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße.

Nach dem Abstieg fand zwangsläufig ein großer Umbruch statt Die Löwen-Fans benötigten einige Tage, bis sie sich an die vielen neuen Gesichter in der Mannschaft gewöhnt hatten. Gleich 13 externe Zugänge waren verpflichtet worden, die meisten davon ablösefrei: Karlheinz Pflipsen, Marco Gebhardt, Timo Ochs, Patrick Milchraum, Pascal Ojigwe, Michal Kolomaznik, Slobodan Komljenovic, Emmanuel Krontiris, Quido Lanzaat, Erol Bulut, Denis Bushuev, Thomas Gebauer und Stefan Frühbeis. Dazu kamen die Talente Lukasz Szukala und Nicky Adler aus der zweiten Mannschaft.

Auch ein neuer Trainer war natürlich geholt worden: Rudi Bommer, der bis dahin bei Wacker Burghausen sehr erfolgreich gearbeitet hatte und früher selbst Nationalspieler gewesen war. Eigentlich hatte er noch zwei Jahre bei den Weiß-Schwarzen Vertrag, doch die Verantwortlichen beim TSV 1860 setzten große Hoffnungen in ihn.

Zu ihnen gehörte mittlerweile auch Roland „Magic“ Kneißl, der einstige Publikumsliebling hatte das Amt des Managers von Dirk Duffner übernommen. Was viele Fans allerdings so richtig elektrisierte, war die von Karl Auer forcierte Rückkehr ins Grünwalder Stadion. Die Idee dahinter: In der legendären Bastion in Giesing sollte die Grundlage für den angestrebten Wiederaufstieg, der als Ziel ausgegeben worden war, gelegt werden.

Und natürlich war das Sechzger am 1. Spieltag ausverkauft, als es gleich zum Derby gegen die SpVgg Unterhaching kam. Aber was für eine Enttäuschung: Es reichte nur zu einem 2:2, die Neuzugänge Pflipsen und Kolomaznik erzielten die Löwen-Tore. Es folgte ein 1:3 bei Erzgebirge Aue, die Gesichter bei den Verantwortlichen des TSV 1860 wurden länger und länger. Zwar gab‘s am 3. Spieltag endlich den ersten Sieg (2:0 gegen Trier), aber die Sechzger kamen auch in der Folge nicht richtig in die Gänge. Nach sieben Spieltagen standen erst zwei Siege auf dem Konto und ein überaus peinliches 2:4 an der Grünwalder Straße gegen Wacker Burghausen.

Bommer nahm die Niederlage gegen seinen Ex-Verein so mit, dass er noch etliche Minuten nach dem Schlusspfiff fassungslos auf der Bank verharrte. Der anschließende 2:1-Sieg bei Eintracht Frankfurt war auch nicht mehr als ein Strohfeuer - es blieb dabei: Die Löwen kamen nicht auf die Beine. Immer größer wurde der Rückstand auf die Aufstiegsplätze.

Nach dem 1:5 am 15. Spieltag bei Alemannia Aachen zogen die Verantwortlichen die Notbremse: Bommer wurde entlassen. Nur gut drei Jahre nach Werner Lorants Rauswurf war auch der vierte Trainer beim TSV 1860 gescheitert. Nach der Nummer fünf wurde nicht lange gesucht. Sie war schon da: Reiner Maurer, der zweite Assistent von Bommer.

Am 4. Dezember trat der ehemalige Aufstiegsheld der Löwen seinen Job als Cheftrainer an. Zwei Tage später feierte er einen geglückten Einstand beim 2:1 gegen die SpVgg Greuther Fürth. Ein Spiel, in dem die Löwen endlich mal wieder unbändigen Siegeswillen präsentierten. Und was keiner mehr für möglich gehalten hätte: Die Sechzger kletterten in der Tabelle immer weiter nach oben und legten eine nicht für möglich gehaltene Serie hin: 16 Spieltage lang blieben sie in der Rückrunde ungeschlagen und erklommen sogar am 28. Spieltag nach dem 4:0 bei Dynamo Dresden Platz drei. Einen Aufstiegsplatz! Der Sieg wurde aber teuer bezahlt. Roman Tyce hatte sich einen Muskelfaserriss zugezogen, fehlte in den folgenden drei Partien.

Nacheinander ging es in den kommenden drei Spielen gegen Teams aus dem letzten Tabellendrittel. Sowohl zu Hause gegen Saarbrücken (1:1), Kolomaznik versemmelte beste Chancen, als auch in Oberhausen (0:0) und gegen Rot-Weiß Essen (0:0) gab es nur Remis. Mittlerweile war Frankfurt an den Löwen vorbeigezogen, hatte vier Punkte Vorsprung auf die Sechzger und das wesentlich bessere Torverhältnis. Auch Aachen lag aufgrund der besseren Tordifferenz mit 51 Punkten vor dem Maurer-Team.

Und wie es der Spielplan wollte, trafen beide Mannschaften am 32. Spieltag aufeinander. Mit einem klaren 3:0-Erfolg über die Alemannia blieben die Aufstiegschancen gewahrt, zumal die Eintracht einen Tag später ihr Heimspiel 0:1 gegen den MSV Duisburg verlor. Am vorletzten Spieltag ging es für die Löwen nach Fürth. Im Rohnhof siegten die Löwen mit 3:2, aber Tyce, der nach seinem Muskelfaserriss wieder dabei war, zog sich seinen zweiten Kreuzbandriss zu. Das war die eine schlechte Nachricht, aber nicht die einzige, denn Frankfurt gewann zeitgleich bei Energie Cottbus mit 3:0. Damit hielten sie nicht nur den Ein-Punkte-Vorsprung, sondern wiesen auch das wesentlich bessere Torverhältnis auf.

Vor dem letzten Spieltag und dem Heimspiel gegen Ahlen besaß man also nur noch eine theoretische Chance. Frankfurt hätte zu Hause gegen Burghausen verlieren und 1860 gleichzeitig im Grünwalder Stadion einen Sieg einfahren müssen. Noch einmal, ein letztes Mal vor dem Umzug in die mittlerweile fertiggestellte Arena in Fröttmaning, war das Sechzger rappelvoll. Die Löwen spielten alles oder nichts, verloren am Ende mit 3:4, was aber auch egal war, da Eintracht 3:0 siegte.

Das Unternehmen Wiederaufstieg musste um ein Jahr verschoben werden. Schon nach dem Sieg in Dresden war mit Trainer Reiner Maurer, der unterm Strich eine tolle Serie nach der Ablösung von Bommer hingelegt hatte, verlängert worden.


KURIOSES

Der traurige Torjäger
Verpflichtet wurde er im Sommer 2004 auf Empfehlung des ehemaligen Löwen-Trainers Karsten Wettberg. Der war von den Fähigkeiten Michal Kolomazniks sehr überzeugt, hatte ihn oft für Jahn Regensburg Tore schießen sehen. Und der 28-jährige Tscheche hielt, was Wettberg quasi versprochen hatte. Kolomaznik erzielte in seiner ersten Saison bei den Löwen beachtliche 15 Treffer und bereits nach den ersten Toren hatte er auch seinen Spitznamen weg: „Kolo-Gol“ riefen ihn die Fans. Der schweigsame Tscheche, der immer so herrlich traurig dreinschauen konnte und eigentlich nur etwas aus sich herausging, wenn sein Landsmann Roman Tyce in der Nähe war, erlebte allerdings auch einen ganz schlimmen Tag im Trikot des TSV 1860. Am 17. April 2005, im Heimspiel gegen den 1. FC Saarbrücken. Sechs, sieben todsichere Chancen vergab Kolo in dieser Partie und war nach dem 1:1 untröstlich. Weil die Löwen durch seine Zielungenauigkeit im Kampf um den Aufstieg zwei ganz wichtige Punkte liegen ließen. In der darauffolgenden Saison war Kolomaznik oft verletzt, kam nur noch auf fünf Tore in der gesamten Saison und wechselte danach zur SpVgg Unterhaching.

Löwenstarke Stimmung bei der Arena-Eröffnung
Der 30. Mai 2005. Endlich war es so weit. Endlich wurde die Allianz Arena eröffnet. Die neue Heimat des TSV 1860. Es wurde ein Abend, den keiner, der dabei war, je vergessen wird. Ein unglaubliches Spektakel. „Einfach überwältigend“, sagte Löwen-Präsident Karl Auer. Sein Klub hatte die Ehre, als Erster in der neuen Arena spielen zu dürfen. Gegen den 1. FC Nürnberg. Der rote Lokalrivale durfte einen Tag später ran, er empfing die deutsche Nationalmannschaft. Aber als beide Feiern rum waren, fielen die Vergleiche bei den meisten zu Gunsten der Löwen aus. Sie hatten die bessere Eröffnung geboten. Wobei schon der blaue Moderator seinen Kollegen um Längen schlug. Ein klarer Punktsieg von Otti Fischer (führte zusammen mit Monica Lierhaus durch den Abend) gegenüber Thomas Gottschalk, der von den Bayern engagiert worden war und sich nicht als der große Brüller entpuppte. Otti dagegen sorgte mit seinen Sprüchen für mächtig Stimmung beim Publikum. „Ob das Stadion groß genug ist für die Zweite Liga“, fragte der bekennende Löwe in die Runde und erntete schallendes Gelächter. Und dann ein Seitenhieb auf die Bayern: „Football‘s coming home - und mir san scho do.“ Dass es fast den ganzen Abend über wie aus Kübeln goss, störte fast keinen der 66.000. Vielleicht nur diejenigen, die in den untersten Reihen saßen. Denen ging‘s dann doch a bissl nass nei. Egal. Alle waren von dem neuen Fußball-Tempel so in den Bann gezogen, dass ihnen auch das Wetter nicht die Laune verderben konnte. Auch die Löwen-Spieler realisierten nur langsam oder zögerlich, in welch tollem Stadion sie in Zukunft spielen durften. Als Remo Meyer aus der Kabine kam, drehte sich der Schweizer um die eigene Achse, hielt eine Hand staunend vor den offenen Mund und blickte ungläubig auf die imposanten Tribünen. Auf der Stadionuhr war es 20.04 Uhr, als Oberbürgermeister und Löwen-Fan Christian Ude dann die magischen Worte sprach: „Die Allianz Arena, dieses herrliche blaue Fußballstadion, ist hiermit eröffnet.“ Es folgte ein unbeschreiblicher Jubel. Schon in den Stunden vorher hatte die Spider Murphy Gang mit fetzigem Rock‘n Roll die Stimmung angeheizt, die nur einmal ein bisschen getrübt wurde. Als nämlich die evangelische Bischöfin Susanne Breit-Kessler bei der Stadionweihe den folgenschweren Satz sagte: „Hoffen wir also, dass die Löwen hier aufsteigen, die Nürnberger in der Ersten Liga bleiben und der FC Bayern Deutscher Meister wird.“ Ein gellendes Pfeifkonzert war die Folge. Das bald wieder abebbte, als beide Mannschaften den Rasen betraten. Um 20.15 Uhr erfolgte der Anpfiff zum ersten offiziellen Spiel in der Allianz Arena. Und genau acht Minuten und 19 Sekunden später der erste ohrenbetäubende Jubel. Patrick Milchraum hatte ins Schwarze getroffen. Das erste offizielle Tor im neuen Stadion. Erzielt natürlich von einem Löwen. Stefan Kießling und Marcel Ketelaer brachten den Club zwar dann noch vor der Pause mit 2:1 in Führung, aber nach dem Wechsel sorgten Lance Davids und Slobodan Komljenovic mit ihren Treffern für einen Löwen-Sieg. Trainer Reiner Maurer war völlig aus dem Häuschen. „Es war ein gigantischer Abend“, strahlte er, „und es hat allen richtig Spaß gemacht.“ Was Paul Agostino nur bestätigen konnte: „Jetzt haben wir begriffen, dass das unser Stadion ist. Wir werden hier viel Freude haben.“ Hautnah dabei waren auf alle Fälle viele ehemalige Löwen-Stars, die auf dem Rasen der neuen Arena gefeiert wurden - es war ein Abend, an dem alle Löwen wie eine riesengroße Familie waren. Fast zu schön, um wahr zu sein. Und auf den VIP-Trbünen hatte sich ganz viel Prominenz versammelt. Nach Spielschluss ging die Show weiter. 40.000 Zuschauer waren immer noch da, als Status Quo im Mittelkreis ihre Bühne aufgebaut hatten und viele ihrer Hits rockten. Ein herrliches Bild: Da es immer noch wie in Strömen goss, wurde der Schlagzeuger mit einem Löwen­Regenschirm einigermaßen trocken gehalten.

Milchraum macht das erste Tor
Mit seinem Treffer zum 1:0 im Eröffnungsspiel der Allianz Arena hat sich Patrick Milchraum quasi unsterblich gemacht. Was für ein herrliches Tor! Milchraum ließ bei seinem Solo alles stehen und liegen, was sich ihm in den Weg stellte und knallte den Ball anschließend in die Maschen. Der 20- Jährige wurde gefeiert, als hätte er den TSV 1860 gerade zur Meisterschaft geschossen. „Tja“, sagte der linke Flügelflitzer der Löwen, „jetzt bin ich wohl in den Geschichtsbüchern verewigt. Ist schon ein schönes Gefühl.“ Eine schlaflose Nacht hat ihm diese denkwürdige Treffer allerdings nicht eingebracht. Milchraum: „Ich bin gleich eingepennt, als ich nach Hause kam. Ich war aber auch hundemüde.“ Den Treffer hatte er sich zuvor ausgemalt. Milchraum: „Jeder von uns hat das getan. Jeder war geil auf das erste Tor. Aber ich habe dem Paul Agostino vor dem Anpfiff schon gesagt: Paul, du wirst sehen, ich mach‘ es.“ Hätte er denn eventuell den Ball abgegeben, wenn ein Kollege besser postiert gewesen wäre bei seinem Solo, wurde er gefragt. „Natürlich“, so Milchraum und nickte eifrig mit dem Kopf. Als er aber merkte, dass ihm das keiner abnahm, grinste er: „Na ja. Wahrscheinlich doch nicht.«

Pacult traf vor Milchraum
So stolz Patrick Milchramn sein durfte, das erste offizielle Tor in der Allianz Arena geschossen zu haben – aber ein anderer war noch schneller gewesen. Natürlich auch ein Löwe: Peter Pacult. Am 19. Mai fand in der Arena ein Testlauf statt, zu dem nur 30.000 Zuschauer zugelassen waren. Man wollte alles prüfen, etwaige Fehlerquellen aufspüren und natürlich fand auch ein Fußballspiel statt, um den Ernstfall so realistisch wie möglich zu simulieren. Als Gegner trafen die Traditionsteams des TSV 1860 und des FC Bayern aufeinander. Ins Trikot der Löwen schlüpften nach vielen Jahren wieder Rudi Völler und Klaus Fischer, auch Thomas Häßler war dabei, ebenso Martin Max, Bernd Winkler, Roland Kneißl oder Davor Suker. Und natürlich Peter Pacult. Der österreichische Goalgetter erzielte in der 8. Minute das 1:0. Die Löwen-Fans gerieten schier aus dem Häuschen. Noch mehr, als Martin Max kurz vor der Pause den TSV 1860 mit 2:0 in Front brachte. Die Bayern waren ganz schön bedient, boten in der Halbzeit einen Deal an: Man möge sich doch auf ein Unentschieden einigen. Das aber wurde sofort abgeschmettert. Löwen-Legende Thomas Miller schüttelte energisch den Kopf: Kommt überhaupt nicht in Frage.“ Bernhard Winkler erhöhte nach der Pause auf 3:0, Wiggerl Kögl und Karl-Heinz Rumenigge konnten lediglich noch verkürzen. So gewannen die Sechziger mit 3:2, nicht zuletzt dank Torhüter Peter Sirch, der einen Elfmeter von Lothar Matthäus hielt. Der gefragteste Interviepartner hinterher war dennoch Pacult. Der Mann, der die Arena quasi entjungfert hatte. Und der Aufstiegsheld von 1993 tönte selbstbewusst: „War doch kloar, dass i des erste Gool mach.“ Und der nächste Derby-Sieg ließ nicht lange auf sich warten. Gegen - allerdings sehr ersatzgeschwächte - Bayern gewannen die Löwen­Profis am 2. Juni in der Arena vor 66.000 Zuschauern mit 1:0. Paul Agostino erzielte das Tor des Abends in der 85. Minute.

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