SECHZIGMÃœNCHEN.
 

Blick zurück: Saison 1994/1995.

Das Löwen-Team in der Saison 1994/1995, hinten (v. li.): Thomas Miller, Uwe Wolf, Reiner Maurer, Elvis Brajkovic, Ralf Strogies, Olaf Bodden, Alexander Kutschera, Peter Pacult, Reiner Maurer. Mitte (v. li.): Trainer Werner Lorant, Roland Kneißl, Guido Erhard, Miroslav Stevic, René Rydlewicz, Jens Dowe, Manfred Burghartswieser, Thomas Schmidt, Jens Keller, Betreuer Hugo Hackl, Masseur Hans Hodrius, Masseur Jens Graalher. Vorne (v. li.:): Armin Störzenhofecker, Manfred Schwabl, Bernhard Winkler, Bernd Meier, Rainer Berg, Timur Yanyali, Peter Nowak, Matthias Imhof, Bernhard Trares. 

Als Aufsteiger, der den direkten Durchmarsch von der Bayernliga in die Bundesliga geschafft hatte, konnte man in der Saison 1994/1995 nicht mehr als den Klassenerhalt erwarten. Und der wurde mit einem „Superfinish“ auch erreicht. Am Ende hatten die Löwen auf Rang 14 komfortable fünf Punkte Vorsprung auf den Drittletzten, den VfL Bochum. Garant für den Verbleib im Oberhaus war ein physisch starkes Team und eine rustikale Spielweise. Zwölf Platzverweise in dieser Spielzeit bedeuteten Rekord für die Bundesliga. 

Es war brutal heiß während der ersten Juli-Tage im Sommer 1994, als die Löwen draußen an der Grünwalder Straße mit der Vorbereitung auf die neue Saison begannen. Morgens starteten die Bayern unter ihrem neuen Coach Giovanni Trapattoni die Vorbereitung, am Nachmittag die Sechzger. Die Spieler schwitzten und stöhnten, aber bei Werner Lorant um Mitleid zu flehen, hatte gar keinen Sinn. Der deutete nur auf den 100 Meter entfernten Blech-Container, in dem die Dauerkarten für die neue Saison angeboten wurden und vor dem sich eine immer längere Menschenschlange bildete. „Seht her“, sagte Werner „Beinhart“ zu seinen Spielern, „die Leute stehen stundenlang in der brütenden Hitze, damit sie ihr Geld ausgeben können, um euch zu sehen. Da will ich überhaupt keine Klagen hören!“

Diese gab’s trotzdem, wenn auch aus einem anderen Grund. Mats Lilienberg wollte unbedingt wieder nach Schweden zurück, aber auch ein tränenreich inszenierter Auftritt in einem Bierzelt nach einem Privatspiel in Dorfen konnte Präsident Karl-Heinz Wildmoser nicht zu einer Freigabe erweichen. Jedenfalls solange die Ablöse nicht stimmte.

Ein anderer Stürmer geriet ebenfalls ins Gespräch. Rudi Völlers Heimkehr zu den Sechzgern wurde diskutiert, nachdem der 34-Jährige aus Marseille nach Deutschland zurück wollte. Wildmoser hatte zwar sämtliche Telefonnummern, unter denen Völler zu erreichen war, in der Tasche, aber nicht genug „Kleingeld“. Aus der Rückkehr von „Ruuudiii“ wurde nichts, der finanzielle Einsatz war der Vereinsführung zu hoch.

So blieb’s zunächst bei den Neuzugängen Jens Dowe, Miroslav Stevic, Uwe Wolf, Peter Knäbel, Alexander Kutschera, Manfred Burghartswieser und Timur Yanyali, die mit dem Stamm der Aufstiegstruppe das Abenteuer Bundesliga angehen sollten. Kurz vor dem Start trennte sich der Verein noch von Niels Schlotterbeck. Lorant war sauer aufgestoßen, dass „Schlotti“ gesagt haben soll: „Wer bei 1860 in der Bundesliga Libero spielt, kann nur der Depp sein.“

Der „Depp“ beim ersten Bundesligaspiel in Dortmund hieß dann Thomas Schmidt. Er war kurz zuvor als neuer Libero vom SC Freiburg geholt worden. Die Löwen verloren zwar mit 0:4 recht klar, erhielten aber dennoch viele Komplimente. „1860 hat eine gute Mannschaft“, lobte Andi Möller, und Werner Lorant ärgerte sich: „Das Ergebnis ist absolut lächerlich.“ Ein Doppelschlag von Karl-Heinz Riedle und Stéphane Chapuisat in den letzten beiden Minuten vor der Pause hatte die Löwen auf die Verliererstraße gebracht. Man war noch zu grün für die ausgebufften BVB-Profis. Zu allem Pech zog sich Uwe Wolf auch noch einen komplizierten Sehnenriss am Fuß zu und fiel monatelang aus.

Trotz des 0:4 in Dortmund war die Zuschauerzahl beim ersten Bundesliga-Heimspiel nach dieser langen Zeit für Werner Lorant enttäuschend. Nur 43.000 waren ins Olympiastadion gekommen, um die Partie gegen den VfB Stuttgart zu sehen. Die Sechzger verloren erneut, diesmal mit 0:2, und Lorant sprach hinterher davon, dass ihm die Mannschaft „leid tut“. Allerdings wurden auch Riesenchancen vergeben, Bernd Winkler ließ in der 1. Halbzeit gleich drei großartige Möglichkeiten aus. Erneutes Pech für die Löwen: Thomas Schmidt wurde in der 39. Minute vom Platz gestellt. Eine sehr umstrittene Entscheidung und der Anfang einer schwarzen Serie, wie sie die Bundesliga noch nie erlebt hatte.

Als Tabellenletzter reiste der TSV 1860 am 3. Spieltag nach Uerdingen. Und endlich durfte man den ersten Bundesligapunkt nach 13 Jahren und 75 Tagen bejubeln. Das Tor zum 1:1-Endstand erzielte Max Lilienberg mit seinem ersten Ballkontakt nach der Einwechslung in der 59. Minute. Nach langer Zeit sah man den Schweden mal wieder lachen.

Aber im folgenden Heimspiel gegen Schalke gab’s wieder eins auf die Mütze. Ein Patzer von Rainer Berg bedeutete den 0:1-Endstand und die Fans verfluchten das Olympiastadion, in dem es für die Sechzger in zwei Spielen nichts zu erben gegeben hatte.

Stadion hin, Stadion her, für die Verantwortlichen stand fest: Neue Leute mussten her. Am 6. September wurde Manni Schwabl verpflichtet. Mit ihm feierte man gleich einen 5:2-Sieg im Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen. Allerdings erst nach Elfmeterschießen. Ausgerechnet Rudi Völler verballerte auf Leverkusener Seite den entscheidenden Elfer. Die Partie fand übrigens im Stadion an der Grünwalder Straße statt.

Vor dem nächsten Auswärtsspiel in Karlsruhe marschierte der nächste Neue auf: Peter Nowak. Aber auch er konnte das 1:3 nicht verhindern. Bernd Meier stand zum ersten Mal in einem Bundesligaspiel im Löwen-Kasten, nachdem sich Berg eine gefährliche Venen-Verletzung im Bein zugezogen hatte.

1:3 verloren die Sechzger auch fünf Tage später das Derby gegen den FC Bayern. Zwei Platzverweise gab’s noch obendrauf. Für Schwabl wegen Foulspiels und für Bernhard Winkler, weil er den Linienrichter einen „Blinden“ beschimpft hatte. Langsam wurde es brenzlig für den TSV 1860. 1:11-Punkte nach sechs Spieltagen, die 2. Liga grüßte bereits wieder aus der Ferne. Aber aufgegeben wurde noch lange nicht. In Dresden sprang ein 1:1 heraus, die Stimmung während der langen Busreise heim nach München war wenigstens einigermaßen gerettet.

Zumal jetzt das Kapitel Olympiastadion (wo alle drei Spiele verloren gingen) vorerst abgeschlossen war. Ab sofort war das geliebte Sechzger wieder Austragungsort der Löwen-Heimspiele. Umso größer die Enttäuschung, als es dort zur Premiere eine 1:2-Pleite (Miller schoss sein einziges Bundesliga-Tor) gegen Werder Bremen setzte.

Nach dem Spiel sickerte durch, dass der TSV 1860 schon wieder einen neuen Mann verpflichtet hatte: Stürmer Olaf Bodden. Der ehemalige Rostocker feierte sein Debüt beim 2:2 in Bochum, wo die Sechzger bereits 0:2 zurückgelegen hatten. Aber mit zehn Mann (Timur Yanyali war in der 1. Halbzeit vom Platz geflogen) holte Lorants Truppe noch zwei Tore auf. Dem Selbstbewusstsein der Löwen tat’s unheimlich gut und im Heimspiel gegen den SC Freiburg sollte jetzt auch endlich der erste Bundesligasieg nach 13 Jahren, fünf Monaten und sechs Tagen folgen. Gleich mit 4:0 putzten die Sechzger am 22. Oktober den Tabellendritten vom Platz, die 30.000 im ausverkauften Grünwalder Stadion forderten eine Ehrenrunde nach der anderen. Winkler hatte nach Verbüßung seiner vierwöchigen Sperre gleich zweimal ins Schwarze getroffen, den Rest besorgten Trares und Bodden.

Eine Woche drauf unterlag man in Gladbach 0:2 und verlor Miller und Trares durch Gelb-Rote Karten. Trares wegen angeblichen Meckerns, worüber Lorant so sauer war, dass er ihm die Kapitänsbinde entzog. „Der Trares macht auf dem Platz den Hannes und ich bin draußen der Depp“, tobte der Löwen-Trainer und bestimmte Manni Schwabl zum neuen Spielführer.

Enttäuschung herrschte auch nach dem Heimspiel gegen Duisburg. Gegen den Tabellenletzten sprang nur ein 1:1 heraus. Beim HSV folgten ein 0:3 sowie eine Rote Karte für Peter Nowak. Bereits der siebte Platzverweis in der laufenden Saison für einen Löwen und erneut war Lorant außer sich vor Zorn. Diesmal nicht wegen des Spielers, sondern wegen des Schiedsrichters: „Wenn die uns nicht in der Bundesliga haben wollen, dann sollen sie uns halt rauspfeifen. Nowak hat überhaupt nichts getan.“ Trotzdem wurde der Spieler für zwei Spiele gesperrt.

Ohne ihn gab’s ein 1:1 gegen Leverkusen und ein 1:2 in Köln. Dort präsentierte Lorant den vierten neuen Spieler, der während der Saison hinzugeholt wurde: Rene Rydlewicz. Im letzten Auswärtsspiel der Vorrunde schrammten die Sechzger beim 1:1 in Kaiserslautern nur knapp am ersten Auswärtssieg vorbei, aber Lorant präsentierte sich dennoch bester Laune: „Wir haben eine ganz starke Leistung geboten.“

Ebenso wie im letzten Heimspiel vor der Winterpause gegen Eintracht Frankfurt: Und mit dem 2:1 gegen die Truppe von Trainer Jupp Heynckes verließen die Sechzger erstmals in dieser Saison einen Abstiegsplatz, konnten also durchaus fröhliche Weihnachten feiern.

Zum Rückrundenstart stellte sich ein weiterer Neuer dem Löwen-Publikum vor: Elvis Brajkovic, ein Abwehrspieler aus der kroatischen Nationalmannschaft, hinter dem Lorant ein halbes Jahr her war. Zum Einstand von Elvis verlor der TSV 1860 gleich mal kräftig gegen Borussia Dortmund. 1:5 hieß es – das Spiel fand wieder im Olympiastadion statt!

Dann aber holten die Löwen ein beachtenswertes 1:1 beim VfB Stuttgart. Wobei sie mehr als eine Halbzeit wieder mal zu Zehnt auskommen mussten. Trares war vom Platz geflogen – wegen angeblicher Zeitverzögerung. Nur mit Mühe konnten die Mannschaftskollegen ihren Libero davon abhalten, Schiedsrichter Jürgen Aust an die Gurgel zu gehen.

Zwei Wochen später bei Schalke luden die Löwen aber wieder zum „Tag der offenen Tür“ ein. Nach dem 2:6 schimpfte Lorant fürchterlich auf seine Abwehr und im drauffolgenden Heimspiel gegen den Karlsruher SC saßen Berg, Wolf und Strogies auch nur noch auf der Ersatzbank. Es war ein irres Spiel. Bei den Karlsruhern flog einer nach dem anderen vom Platz, 17 Minuten vor Schluss waren die Badener nur noch zu Acht. Aber wer gedacht hätte, dass die Sechzger mit ihrem Gegner nun Katz und Maus spielen würden, sah sich furchtbar getäuscht. Ihr Spiel war auf einmal von der puren Angst geprägt, die 1:0-Führung, für die Winkler mit einem herrlichen Schlenzer gesorgt hatte, noch zu vergeigen und sich bis auf die Knochen zu blamieren. Mit Müh und Not retteten die Löwen dann aber doch die beiden Punkte nach Hause, und Schwabl stöhnte hinterher: „Nie mehr in meinem Leben möchte ich gegen acht Mann spielen!“ KSC-Trainer Winnie Schäfer, ein ganz dicker „Freund“ von Lorant, giftete hinterher in der Pressekonferenz: „Die Sechzger sind eine blinde Truppe mit einem wilden Trainer.“

Im nächsten Heimspiel gegen Uerdingen reichte es nur zu einem 1:1, aber Zeit, sich lang darüber zu grämen, blieb nicht. Schon vier Tage später stand das Lokalderby an. Mit einem Ausgang, der den Spielverlauf völlig auf den Kopf stellte. 1:0 gewannen die Bayern, wurden von den Löwen jedoch förmlich an die Wand gespielt. Selten zuvor ging ein Derby derart ungerecht aus. Auch Bayern-Coach Giovanni Trapattoni empfand den Sieg als peinlich: „Ich bitte 1860 um Entschuldigung“, sagte er hinterher, „aber so ist halt Fußball.“

Im nächsten Heimspiel gegen Dresden trafen die Sechzger besser – aber das 3:1 musste unter die Kategorie Pflichtsieg eingereiht werden. In Bremen verlor man 0:2, was ein erneuter Rückschlag im Kampf gegen den Abstieg bedeutete.

Aber von nun an folgte eine Serie von sieben Spielen, die es in sich hatte. Keine einzige dieser Partien zwischen dem 16. April und 26. Mai ging verloren – die Löwen waren plötzlich wirklich zum Fürchten. Mit 4:0 wurde Bochum nach Hause geschickt, 1:1 hieß es in Freiburg, 2:0 gegen Gladbach (mit zwei herrlichen Toren von Bodden und Dowe sowie einem überragenden Nowak), 1:1 in Duisburg (Winkler sah Gelb-Rot) und das gleiche Ergebnis gab’s zu Hause gegen den HSV. Fünf Punkte betrug jetzt bereits der Vorsprung auf einen Abstiegsplatz.

Am viertletzten Spieltag machten die Sechzger schließlich ihr „Meisterstück“. In Leverkusen legten sie vor den Augen von Berti Vogts ein Spiel hin, dass auch der Bundestrainer nur so mit den Ohren schlackerte. Nowak und Rydlewicz schossen die Tore zum 2:0-Sieg und Präsident Wildmoser schwärmte hinterher: „Alle waren gut, aber Meier, Nowak und Schwabl waren Weltklasse.“

Der Abstieg war nun endgültig kein Thema mehr, und nach dem Heimspiel gegen Köln auch theoretisch nicht mehr möglich. 2:1 gewannen die Sechzger , obwohl sie einmal mehr mit zehn Mann zu Ende spielen mussten (Schwabl hatte Gelb-Rot gesehen). Nowak und Bodden hießen die Torschützen und nach dem Schlusspfiff war im ausverkauften Grünwalder Stadion der Teufel los. Die Löwen wurden gefeiert, als hätten sie soeben den Europapokal gewonnen. Vom viel belächelten „Absteiger Nummer eins“ waren sie zu einer spielstarken Bundesliga-Truppe gereift, deren Leistung plötzlich überall großer Respekt entgegengebracht wurde.

Die restlichen beiden Partien konnte man abhaken. Mit jeweils 1:3 verlor der TSV 1860 gegen Kaiserslautern und in Frankfurt, für Lorant keine Überraschung: „Die Luft war nach dieser anstrengenden Rückrunde einfach raus.“ In einem blieben sich die Sechzger in diesen beiden Partien allerdings treu: Gegen Lautern sah Kutschera die Rote Karte, in Frankfurt Trares (sein dritter Platzverweis in dieser Saison).

Insgesamt kassierte der TSV 1860 in der Spielzeit 1994/1995 zwölf Platzverweise (siebenmal Rot, fünfmal Gelb-Rot), was Bundesligarekord bedeutete. Aber auch eine Zahl, die die Leistung der Löwen eigentlich nur noch höher hängt. Rund ein Drittel der Spiele beendeten sie in Unterzahl und dennoch stiegen sie nicht ab.


KURIOSES

Watschn vom Ösi-Arschloch
Es geschah in der Halbzeit des Reserverundenspiels zwischen dem TSV 1860 und dem Karlsruher SC am 8. November 1994 in Neufahrn. Bernhard Trares ging in der Kabine auf Thomas Seeliger zu und fragte ihn: „Sag mal, warum gibst du eigentlich keinen Ball ab?“ Als sich auch Peter Pacult einmischte und Trares unterstützen wollte, herrschte ihn Seeliger an: „Halt’s Maul, du Ösi-Arschloch.“ Pacult gab sofort Kontra und verpasste Seeliger eine saftige Watschn. Im Nu war der höchste Tumult im Gange. Die Teebecher flogen durch die Kabine, ehe die beiden Streithanseln dann schließlich getrennt werden konnten. Zur Strafe durften sowohl Pacult als auch Seeliger nicht mit zum nächsten Auswärtsspiel beim Hamburger SV reisen. Doch Seeliger hatte ohnehin genug. Er wechselte eine Woche später zum VfL Wolfsburg. Dort war auch Guido Erhard im Gespräch, aber der Stürmer stoppte sofort alle Verhandlungen. Begründung: „Nie mehr spiele ich mit dem Seeliger in einer Mannschaft!“

Der traurige Fanliebling
Eigentlich durfte Guido Erhard mit seiner ersten Bundesliga-Saison sehr zufrieden sein. Vier Treffer hatte der Löwen-Stürmer in der Rückrunde erzielt, auch fast alle Spiele nach der Winterpause mitgemacht. Große Träume waren für ihn persönlich in Erfüllung gegangen: „Ich wollte immer mal in der Bundesliga spielen und natürlich auch das ein oder andere Tor schießen.“ Trotzdem war für ihn nach dieser Saison bei den Löwen Schluss. Erhard stand zwar noch im Aufgebot für die Spielzeit 1995/1996, aber nachdem er ein paar Monate lang bei Werner Lorant keine Berücksichtigung fand, zog er es schweren Herzens vor, den TSV 1860 in Richtung Wolfsburg zu verlassen. Für die Fans ein ganz schwerer Verlust. Kaum ein anderer Spieler genoss bei ihnen solch eine Beliebtheit wie der Guido während seiner fünf Jahre, die er in München spielte. Karsten Wettberg hatte ihn 1990 von den Offenbacher Kickers in die Bayernliga-Mannschaft geholt, und der damals 20-Jährige machte schon bald als „Joker“ von sich reden. Immer nach dem gleichen Strickmuster: Erhard wurde eingewechselt, stampfte mit geballter Faust auf den Platz, die Fans johlten und meistens dauerte es nicht lange, und er hatte wieder mal „sein“ Tor erzielt. Aber die Erfolgserlebnisse wurden auch immer wieder von schweren Verletzungen gestoppt. Einen Kreuzbandriss und drei Bänderrisse erlitt Erhard während seiner Zeit im Löwen-Trikot Der gebürtige Hesse spielte noch in Wolfsburg und Mainz, litt zunehmend unter Depressionen. Am 21. Februar 2002 setzte er seinem Leben mit 32 Jahren ein Ende.

Tränenvoller Abschied
Die „Pacult! Pacult!“-Sprechchöre wollten nicht mehr enden, auch auf den Sitzplätzen hielt’s keinen mehr im Stadion an der Grünwalder Straße: Die 28.500 Besucher spendeten ihrem Liebling stehende Ovationen, als dieser am 10. Juni 1995 vor dem letzten Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern verabschiedet wurde. Beim Peter flossen die Tränen angesichts der Zuneigung, die ihm entgegengebracht wurde. Schluchzend drehte er eine Ehrenrunde durchs Stadion, immer wieder rieb sich der Stürmer, der in der Saison zuvor so großen Beitrag zum Aufstieg der Löwen geleistet hatte, die Augen. Die Trennung von Pacult ging allen ans Gemüt. „Das war nicht einfach“, schilderte er hinterher seine Gefühle, „auf diese Art und Weise bin ich noch nie verabschiedet worden.“ Und dann blickte der Wiener nochmal zurück: „Als ich vor zwei Jahren nach München wechselte, wusste ich ja, dass ich zu einem narrischen Verein komme. Aber mit dieser Euphorie hatte ich nie und nimmer gerechnet. Die Station 1860 wird für mich unvergessen bleiben. Es war genauso schön, als wenn man ein Europacup-Finale gewinnt.“ Aber es blieb auch ein bitterer Beigeschmack. Zwei Muskelbündelrisse vor Beginn und während der Rückrunde ließen Pacult kaum mehr zum Einsatz kommen: „Deshalb war mir dann auch bald klar, dass ich keinen neuen Vertrag mehr bekommen werde.“ Aber sein damaliges Versprechen, in anderer Funktion zum TSV 1860 irgendwann zurückzukehren, erfüllte sich früher als erwartet. Ein Jahr später war Pacult wieder in München, stand Werner Lorant als Assistent zur Seite und übernahm den Posten des Cheftrainers der Amateur-Mannschaft.

Peter Nowak Superstar
Als der TSV 1860 Anfang September 1994 die Verpflichtung von Peter Nowak vermeldete, wurde dieser Transfer von der Anhängerschar ohne große Emotionen registriert. Recht viel konnte fast keiner mit dem Namen anfangen. Was nicht zuletzt auch daran lag, dass der neue Mann zwei verschiedene Namen trug. Peter Keller oder Pjotr Nowak. Ganz wie man wollte. Hintergrund dafür war folgender: Der gebürtige Pole besaß eine deutsche Großmutter väterlicherseits und nannte sich deshalb auch Keller. Für die Löwen viel wichtiger: Dank der deutschen Großmutter fiel Nowak nicht unter das Ausländerkontingent, nachdem man ihn für 1,5 Millionen Mark Ablöse vom 1. FC Kaiserslautern verpflichtet hatte. Und um den Namen gab’s auch kein langes Durcheinander mehr: Aus Pjotr Nowak und Peter Keller wurde Peter Nowak Selbst Franz Beckenbauer schwärmte von dem kleinen Mittelfeldspieler: „Der Nowak, das ist ein Klassemann, da haben sich die Sechzger einen ganz Guten geholt.“ Der Deutsch-Pole war der Lenker und Denker des Löwen-Spiels und alle schwärmten in den höchsten Tönen von ihm. Seine Dribblings, seine kurzen Haken, seine millimetergenauen Pässe – die reinste Augenweide. Auch Peter Grosser, der großartige Techniker aus der Meisterelf von 1966 ließ seiner Begeisterung freien Lauf: „Der Nowak ist so ein guter Fußballer, der hätte auch damals in unserer Mannschaft einen Platz gehabt.“ Und Werner Lorant stellte kurz und bündig fest: „Ich wüsste derzeit keinen Mittelfeldspieler in Deutschland, der besser ist als der Peter.“ Nur seine Frau Marzena durfte sich von den fußballerischen Qualitäten ihres Mannes nicht selbst überzeugen, weil sie vom Peter „Stadionverbot“ erhalten hatte. Der Grund? „Sie hat, wie man bei uns in Polen sagt, den Frosch in der Tasche. Das heißt, sie bringt Unglück. Deshalb muss sie zuhause bleiben.“ Im Juli 1995, kurz nachdem die Vorbereitung auf die neue Saison begonnen hatte, schockte Nowak alle Löwen-Fans. „Ich will nach Japan wechseln“, verkündete er, „je eher, desto lieber.“ Präsident Karl-Heinz Wildmoser jedoch kämpfte um den Peter. Erfolgreich. Mit Hilfe einiger Sponsoren verlängerte er den Vertrag mit seinem besten Spieler zu weitaus verbesserten Konditionen. Wie er den Sponsoren ein Engagement schmackhaft machte, erzählte der Löwen-Boss hinterher immer gerne. „Ich habe den Leuten nur den ‚kicker‘ gezeigt, in dessen Sommer-Rangliste Nowak als bester Mittelfeldspieler der Bundesliga aufgeführt war.“


INTERVIEW MIT THOMAS MILLER

Thomas Miller verkörpert wie kaum ein anderer die Löwen-Tugenden und wird von den Fans bis heute als „Fußballgott“ tituliert. Der Verteidiger spielte von 1989 bis 1997 für die Löwen in drei verschiedenen Ligen, machte den Durchmarsch von der Bayern- in die Bundesliga mit und gehörte zu dem Team, das 1996 das DFB-Hallen-Masters in der Dortmunder Westfalenhalle gewann. Insgesamt brachte es der knorrige Abwehrspieler auf 82 Bundesligaeinsätze (1 Tor), 67 Partien in der Zweiten Liga (1) und 64 Bayernligaspiele (3). Dazu kamen neun Einsätze im DFB-Pokal.

Nach 13 langen Jahren kehrten die Löwen in die Bundesliga zurück. Was ist Ihnen von der Saison 1994/1995 noch in Erinnerung?
Thomas Miller: Dass wir als Neuling einen schweren Start hatten und uns erst an die neue Liga gewöhnen mussten. Wir hatten keine schlechte Mannschaft, aber es war für uns alle Neuland. Die Fans freuten sich nach 13 Jahren natürlich riesig auf die Erste Liga. Entsprechend war die Euphorie riesengroß.

Nach neun Spielen hatten die Löwen aber erst drei Punkte auf dem Konto. Mit Manni Schwabl, Peter Nowak und Olaf Bodden wurde deshalb nochmals kräftig nachgerüstet. Eine Notwendigkeit?
Miller: Ja, danach wurde es immer besser. Als Abstiegskandidat Nummer eins gehandelt, haben wir uns gefangen und sind relativ sicher in der Bundesliga geblieben.

Die ersten drei Heimspiele wurden im Olympiastadion ausgetragen, danach ging‘s wieder ins Grünwalder Stadion. War dies mit ein Grund für den schlechten Auftakt?
Miller: Sicher, wegen der höheren Einnahmen mussten wir von Präsidiumsseite ins Olympiastadion umziehen. Die Mannschaft wollte dort nicht spielen. Es wurde erst besser, als wir wieder im Grünwalder spielten – wegen der Atmosphäre und weil es damals unsere Heimat war.

Aber auch das erste Spiel auf „Giesings Höhen“ ging 1:2 verloren. Sie erzielten damals Ihr einziges Bundesliga-Tor.
Miller: Ja, an dieses Spiel gegen Werder Bremen kann ich mich nicht nur deshalb gut erinnern. Wir haben zwar verloren, aber nach dem Spiel haben wir an uns geglaubt. Es war eine gute Partie von beiden Mannschaften und wir merkten: Hoppala, wir können in der Bundesliga mithalten!

In dieser Saison stellten die Löwen einen absoluten Bundesliga-Negativrekord auf: Zwölf Platzverweise, davon sieben allein bis zum 13. Spieltag.
Miller: Wir waren damals eine gefürchtete Truppe, versuchten uns als Neuling Respekt zu verschaffen. Die Gegner hatten Angst vor uns, und auch die Schiedsrichter waren uns nicht immer wohl gesonnen ...

Eine Serie von sieben Spielen ohne Niederlage in der Rückrunde sicherte den Klassenerhalt. Wieso lief‘s plötzlich?
Miller: Werner Lorant hatte eine gute Vorbereitung im Winter gemacht. Das war der Grundstock gewesen, weil wir dadurch körperlich allen anderen Teams überlegen waren. Außerdem die Stimmung in der Mannschaft. Wir waren eine absolut verschworene Gemeinschaft, jeder half dem anderen. Dazu zählten auch die Fans und der Trainer.

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