Nicht lange dauerte das Intermezzo nach neun Jahren Bayernliga in der Zweiten Liga. Bereits nach der Saison 1991/1992 war es zu Ende. Trainer Karsten Wettberg, der „König von Giesing“, hatte bei den Verantwortlichen nicht die nötige Rückendeckung. Während der Abstiegsrunde wurde er entlassen. In den Relegationsspielen fungierte Edi Stöhr als Interimstrainer. Nach zwei Niederlagen gegen Fortuna Köln war die unfreiwillige Rückkehr in die Bayernliga besiegelt.Â
Tausende von Löwen-Fans hatten sich am 24. Juli 1991 auf den Weg in Richtung Schwarzwald gemacht. Das erste Zweitliga-Spiel des TSV 1860 nach über neunjähriger Pause stand beim SC Freiburg an. Die Sechzger verloren etwas unglücklich mit 1:2 (Horst Schmidbauer schoss das Ehrentor), und Karsten Wettbergs imposante Serie mit dem TSV 1860 (49 Punktspiele ohne Niederlage) war Geschichte.
Aber das war nicht der Grund, dass es zwischen Vereinsführung und dem Trainer kriselte. Einigen war der kleine Karsten zu groß geworden, bereits auf der Aufstiegsfeier im Rathaus hatten Präsidiumsmitglieder die Namen anderer Trainer (u. a. Wolf Werner) ins Gespräch gebracht. Wettberg bekam natürlich mit, was hinter seinem Rücken lief, besann sich aber zunächst noch voll auf seine sportlichen Aufgaben, die schwer genug waren. „Unser Ziel ist es, in der Liga Fuß zu fassen und nicht in Abstiegsgefahr zu geraten. Nicht mehr!“, zeigte der Trainer Realitätssinn. Derweil träumten die Fans schon wieder, zumal im ersten Derby seit sieben Jahren in der Saisonvorbereitung immerhin ein Remis heraussprang.
Doch ausgerechnet die beiden wichtigsten Neueinkäufe zogen sich im August schwere Verletzungen zu. Mittelstürmer Horst Heisig erlitt einen Bänderriss, der bis dahin großartig auftrumpfende Mittelfeldmann Bernd Trares zog sich zum zweiten Mal in seiner Karriere einen Riss der Achillessehne zu. Für ihn war die Saison schon beendet.
Die Sechzger sackten in der neugebildeten 2. Bundesliga Süd (nur zwölf Vereine, davon zum ersten Mal fünf aus den neuen Bundesländern) immer weiter ab, es war an der Zeit, die Reißleine zu ziehen. Für eine Million Mark Ablöse wurde der dänische National-Stürmer Frank Pingel aus Kopenhagen geholt. Der blonde Kraftprotz legte einen Einstand nach Maß hin. Gleich in seinem ersten Spiel gegen den FC Homburg erzielte der Däne das 1:0, am Ende hatten die Löwen den Tabellenführer mit 3:0 besiegt.
Allerdings entpuppte sich das Ganze nur als ein Strohfeuer, der TSV 1860 kam einfach nicht auf die Beine, spielte dreimal hintereinander 0:0 – die Löwen verloren immer mehr an Attraktivität. Mittlerweile bemühte sich Wettberg, ein neues Präsidium aufzubauen, denn mit Präsidentin Liselotte Knecht, Schatzmeister Manfred Obermeier und Helmut Schmitz lag er inzwischen völlig über Kreuz.
Der von ihm favorisierte Manfred Cassani allerdings verlor bei der Wahl am 12. November 1991 mit Pauken und Trompeten, Lilo Knecht blieb im Amt. Neu waren dafür zwei Vizepräsidenten: Karl-Heinz Wildmoser und Fredi Heiß. Letzterer aber war zunächst ausgebremst worden, erst als etwa hundert Löwen-Fans massiv seine Kandidatur forderten, akzeptierte die 1860-Führung, dass der ehemalige Meisterspieler ins Präsidium gewählt wurde.
Ruhe jedoch kam nach den Wahlen nicht in den Verein. Es wurde weiter intrigiert und mit falschen Karten gespielt. Auf der Rückfahrt vom Spiel in Homburg machten Heiß und Schmitz in Stuttgart Station, verhandelten mit Lorenz-Günter Köstner, der neuer Trainer werden sollte. Dann aber gab’s wieder eine Abstimmung im Präsidium, die mit 3:2 pro Wettberg ausfiel. Alles klar? Keiner wusste Bescheid.
Angesichts des ganzen Durcheinanders konnte man nun wahrlich nicht mehr erwarten, dass die Mannschaft einen Platz unter den ersten Sechs, der zur Teilnahme an den Aufstiegs-Play-Offs berechtigt hätte, erreichen würde. Mit fünf Punkten Rückstand auf den Sechsten, den FC Homburg, belegte der TSV 1860 den drittletzten Platz nach Abschluss der Zwölfer-Runde am 15. Dezember 1991.
Drei Monate hätte man Zeit gehabt, sich zu besinnen, alle Kräfte zu bündeln und an einem Strang zu ziehen, denn die Abstiegsrunde startete erst am 7. März 1992. Aber nichts von alledem. Beim Hallen-Turnier in Innsbruck schrie Schatzmeister Obermeier Trainer Karsten Wettberg in aller Öffentlichkeit an und gab ihn der Lächerlichkeit preis. Etliche Löwen-Fans standen ganz nah dabei und brachten vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
Auch im anschließenden Trainingslager am Gardasee lief bei weitem nicht alles wie gewünscht. Inzwischen hatten die Löwen mit Örjan Berg und Hansi Brunner zwei neue Spieler verpflichtet. Mit ihnen legten sie in der Abstiegsrunde auch gleich einen Start nach Maß hin. Drei 2:0-Siege gegen Erfurt, in Mainz und gegen Halle hätten eigentlich für Ruhe sorgen sollen, aber weit gefehlt. Als Fredi Heiß nach dem Sieg gegen Halle Schatzmeister Obermeier über den Weg lief und seiner Freude Ausdruck verleihen wollte, knurrte der Finanzchef der Löwen: „Jetzt holt der a no 6:0 Punkte!“
Gemeint war Wettberg, Obermeier passte es überhaupt nicht, dass der Trainer mit der Mannschaft wieder Erfolge feiern durfte. Dabei war für die Vereinsführung längst klar, dass der einstige Erfolgs-Coach trotz eines noch laufenden Vertrages zum Saisonende würde gehen müssen. Neue Unruhe kam auf, denn die Mannschaft gewann kein einziges der folgenden fünf Spiele, zudem wurde Frank Pingel zweimal vom Platz gestellt.
Am vorletzten Spieltag endlich wieder ein Sieg für den TSV 1860. 3:0 wurde Darmstadt 98 geschlagen, die Fans feierten bereits den Klassenerhalt, obwohl der noch nicht hundertprozentig sicher war. Aber die Aussichten standen gut: Ein Punkt im letzten Spiel in Leipzig würde genügen. Bei einer Niederlage dürfte wiederum Darmstadt nicht gleichzeitig gegen Mainz gewinnen.
Aber genauso kam’s. Der TSV 1860 verlor in Leipzig 0:1, Darmstadt gewann 2:1, die Löwen waren Drittletzter, besaßen damit aber immer noch eine Chance in der Relegation gegen den Drittletzten der 2. Bundesliga Nord, Fortuna Köln, sowie den Amateurklub Havelse.
Einen Tag nach dem Leipzig-Spiel wurde Wettberg entlassen, mit der Auflage, dass er nicht mehr das Trainingsgelände betreten dürfe. In den Relegationsspielen, bei denen Edi Stöhr als Trainer fungierte, war dann auch nichts mehr zu holen. Zwei Niederlagen gegen Fortuna Köln besiegelten den Abstieg endgültig. Mitte Juni trat dann Lilo Knecht, mehr oder weniger freiwillig, zurück. Der neue Präsident hieß ab sofort Karl-Heinz Wildmoser.
KURIOSES
Wettberg und der Auflösungsvertrag
Einen Tag nach dem Spiel in Leipzig bekam Karsten Wettberg einen Anruf von Helmut Schmitz. „Karsten, du bist entlassen. Komm bitte nach Hinterbrühl raus“, sagte der Fußballchef und etwa eineinhalb Stunden traf Wettberg im Gasthof von Karl-Heinz Wildmoser ein. Auch Präsidentin Knecht war anwesend und wollte dem gefeuerten Trainer einige Punkte vorlesen, an die er sich zu halten habe. Unter anderem auch das Verbot, das Trainingsgelände nochmals zu betreten. Frau Knecht allerding kam nicht dazu, alles vorzulesen, weil Wettberg sie immer mit einem lauten Lachen unterbrach. „Lachen Sie nicht!“, herrschte die Präsidentin Wettberg an und forderte ihn auf, das Papier, das sie hatte vorlesen wollen, zu unterschreiben. „I unterschreib gar nix“, erwiderte der Ex-Trainer, worauf Knecht noch lauter wurde und befahl: „Sie unterschreiben das jetzt!“ Wettberg blieb weiter gelassen, lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf: „I unterschreib des net!“ Knecht blickte verzweifelt zu ihrem Präsidiumskollegen Wildmoser, der schließlich ihre Hand tätschelte und lächelte: „Beruhig di Dearndl. Wenn er net mog, dann mog er net!“
Parkhaus-Rechnung für pingeligen Pingel
Als Frank Pingel im September zu den Löwen stieß, präsentierte er sich als strahlender Sonnyboy. Der Däne wirkte auf alle erst mal sehr sympathisch. Aber der Schein trog. Pingel entpuppte sich schon bald als Egomane, der gegenüber den anderen Spielern gern den Star raushängen ließ. Die allergrößte Nummer leistete sich der Däne jedoch zum Abschied. Nach Saisonende fuhr er mit dem vom Verein zur Verfügung gestellten Auto zum Flughafen und düste ab nach Kopenhagen. Nach einigen Tagen begann man beim TSV 1860, den Wagen zu vermissen. Keiner wusste, wo er sich befand, und Pingel war nicht zu erreichen. Nach zwei Monaten flatterte auf der Löwen-Geschäftsstelle eine Rechnung über 3.000 Mark ein. Die Park-Gebühr für den Platz im Parkhaus am Flughafen, wo Pingel das Auto einfach abgestellt hatte.
Capocchianos Tränen
Sein Arbeitsverhältnis mit dem TSV 1860 dauerte genau einen Tag. Dino Capocchiano, nach dem Aufstieg für 140.000 Mark aus Havelse nach München geholt, bat bereits am ersten Tag wieder um seine Freigabe. Der italienische Stürmer ließ die Tränen fließen und bot eine schauspielerische Glanzleistung, als er den 1860-Verantwortlichen weiszumachen versuchte, dass er sofort nach Italien müsse, um sich dort um seine Mutter und seine kleine Schwester zu kümmern. Mit dem Fußball werde er aufhören. Bei der 1860-Führung war man geschockt und hatte auch Angst um die Ablöse, die man bereits überwiesen hatte. Zwar glaubte keiner so recht, dass „Cappo“ seine Laufbahn beenden würde, aber die Unsicherheit und das Risiko waren zu groß. Schließlich stimmte der TSV 1860 ein, dass das Vertragsverhältnis mit Capocchiano wieder aufgelöst würde, wenn er dem Verein die Ablöse wieder brächte. Und tatsächlich: Nach einer Woche tauchte der Italiener mit einem Onkel im Schlepptau bei Geschäftsführer Peter Deffner auf und überreichte einen Koffer. Inhalt: Jede Menge Lire-Scheine im Wert von 140.000 Mark! Einige Wochen später wurde aus Italien gemeldet, dass Capocchiano von Lazio Rom verpflichtet worden sei. Den TSV 1860 traf die Nachricht nicht unerwartet, damit hatte man im Grunde gerechnet. Trotzdem fühlte man sich geprellt, und Fußball-Chef Helmut Schmitz legte beim DFB und bei der FIFA Beschwerde ein. Mit Erfolg: Lazio Rom musste weitere 70.000 Mark an 1860 überweisen. Die große Nummer wurde Capocchiano bei Lazio nicht. Damit hatten die Römer auch gar nicht gerechnet. Sie verpflichteten „Cappo“ quasi nur deshalb, weil sie in der Mannschaft einen Spieler haben wollten, der als Dolmetscher für Karl-Heinz Riedle fungieren sollte, der ebenfalls neu zu Lazio gestoßen war.
INTERVIEW MIT ALBERT GRÖBER
Albert Gröber kam vom FC Moosinning 1989 zu den Löwen. Talent war reichlich vorhanden, aber auch eine hohe Verletzungsanfälligkeit. Dadurch brachte es der Stürmer in fünf Spielzeiten nur auf 46 Punktspiele, in denen er 16 Tore in der Bayernliga und Zweiten Liga erzielte. Gröber gehörte wegen seines unermüdlichen Einsatzwillens zu den Publikumslieblingen, wechselte nach dem Bundesliga-Aufstieg 1994 zur SpVgg Unterhaching.
Dem Aufstieg nach neun Jahren Bayernliga folgte in der Saison 1991/1992 der sofortige Abstieg. Welche Erinnerung haben Sie an diese Spielzeit?
Albert Gröber: Damals war Karsten Wettberg Trainer, Co-Trainer Edi Stöhr. In diesem Jahr hatten wir einige namhafte Neuzugänge, wie der Däne Frank Pingel, ein sehr guter Fußballspieler und Stürmer, der sich aber mit dem Trainer nicht sonderlich gut verstand. Auch ein Örjan Berg wurde groß gehandelt, hat aber auch nicht die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Es war insgesamt eine schwierige Saison.
Sie als junger Spieler fanden sich öfters auf der Bank wieder ...
Gröber: Ja, das fand ich nicht in Ordnung. Da sind einige Profis aus anderen Vereinen mit vielen Vorschusslorbeeren gekommen, wie zum Beispiel ein Jochen Heisig, die auch nicht besser waren, aber spielten.
Pingel wurde damals für eine Million Mark Ablöse von Bröndby Kopenhagen verpflichtet. Sorgte das für Unruhe in der Mannschaft?
Gröber: Mir persönlich ist es wurscht gewesen, was die Spieler kosteten oder wo sie herkamen. Das Problem war einfach, dass die Leistung nicht gestimmt hat und sich die Neuzugänge nicht so mit dem Verein identifizierten, wie es sein sollte. Auf der anderen Seite hat man den Spielern aus der Aufstiegsmannschaft nicht das Vertrauen entgegengebracht, das sie verdient hätten. Dadurch entstand Unruhe.
Für die sorgte auch die Klubführung, die Trainer Wettberg trotz 49 Punktspielen ohne Niederlage schon vor Saisonbeginn in Frage stellte.
Gröber: Ja, da wurde von Beginn an öffentlich diskutiert, ob er der richtige Trainer für die Zweite Liga sei. Das ist eigentlich ein Unding, wenn ein Trainer mit einer Mannschaft aufsteigt und von Anfang an in Frage gestellt wird. Das geht einfach nicht, damit war ich auch damals nicht einverstanden.
Als Drittletzter mussten die Löwen in die Abstiegsrunde mit sechs Mannschaften. Es begann mit drei 2:0-Siegen verheißungsvoll. Am Ende fehlte aber ein Punkt zum direkten Klassenerhalt.
Gröber: Ich denke, dass wir uns nach dem Auftakt zu sicher waren. Dann kam die erste Niederlage, und irgendwie ist danach der Faden gerissen.
Kurz vor den Relegationsspielen gegen Fortuna Köln und dem Amateurklub Havelse wurde Trainer Wettberg entlassen. Waren Sie davon überrascht?
Gröber: Nein, das hatte sich ja schon abgezeichnet. Aber zu diesem Zeitpunkt hätte es auch nicht mehr sein müssen. Vielleicht hätten wir ja mit ihm den Klassenerhalt noch geschafft ...