SECHZIGMÜNCHEN.
 

Blick zurück: Saison 1969/1970.

Das Löwen-Team in der Saison 1969/1970, hinten (v. li.): Technischer Leiter Krolopp, Manfred Wagner, Rudolf Kölbl, Horst Blankenburg, Franz Hiller, Dieter Schumacher, Max Reichenberger, Ludwig Denz, Trainer Fritz. Langner. Mitte (v. li.): Horst Berg, Hans-Günter Kroth, Horst Schmidt, Ferdinand Keller, Wolfgang Lex, Rudi Zeiser, Helmut Reiner. Vorne (v. li.): Bernd Gerstner, Zeljko Perusic, Franz Pauly, Petar Radenkovic, Klaus Fischer, Helmut Roth. 

Drei Trainer und ein völlig hilfloses Präsidium: Am Ende der Saison 1969/1970 stand der erste Bundesliga-Abstieg der Löwen. Die Saison begann Fritz Langner als Trainer, der aber nach dem 1. Spieltag erst mal auf Kur musste. Am 12. November 1969 wurde er endgültig von Hans Pilz abgelöst. Dem Co-Trainer folgte nach einem Spiel der Österreicher Franz „Bimbo“ Binder, der den Niedergang aber auch nicht verhindern konnte.

Die von Präsident Franz Sackmann, Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium, propagierte „Gesundschrumpfung“ ging weiter. Nachdem 1968 bereits mit Rudi Brunnenmeier, Hans Küppers und Bubi Bründl drei Leistungsträger den Verein verlassen hatten, folgten nun Fredi Heiß, Hans Rebele, Bernd Patzke, Hans Reich, Peter Grosser und Rudolf Steiner. Von der Meistermannschaft waren nur noch Petar Radenkovic, Zeljko Perusic, Manni Wagner und Rudolf Zeiser übriggeblieben. Das Ganze wäre noch zu verkraften gewesen, hätte man sich wenigstens vernünftig verstärkt, aber die meisten genügten keinen Bundesliga-Ansprüche – ausgenommen Ferdinand Keller und Horst Blankenburg. Beide machten später bei anderen Klubs Karriere. Keller gewann mit dem HSV 1977 den Europapokal der Pokalsieger und absolvierte ein Länderspiel. Ungleich erfolgreicher war Blankenburg, wenn er es auch nie ins DFB-Team schaffte. Als Mitglied der großen Mannschaft von Ajax Amsterdam Johan Cruyff, Johan Neeskens, Ruud Krol und Arie Haan gewann der dreimal den Europapokal der Landesmeister (1971, 1972, 1973), je zweimal die niederländische Meisterschaft und den nationalen Pokal sowie mit dem HSV 1976 den DFB-Pokal und 1977 den Europapokal der Pokalsieger.

Bei der Wahl des Trainers im Sommer 1969 zeigte der TSV 1860 erneut kein gutes Händchen. Unter Fritz Langner ging es im Eiltempo bergab. Nach relativ gutem Beginn, für den Langner nicht verantwortlich war, weil er nach dem ersten Spieltag in Kur musste und von Hans Pilz vertreten wurde, setzte es eine Serie von acht Niederlagen in Folge. Darunter waren dramatische Spiele wie das 0:2 am 10. Oktober 1969 zu Hause gegen Schalke 04, als Keller, Hans-Günther Kroth und Horst Berg gleich drei Elfmeter nicht verwandeln konnten und die Löwen zum ersten Mal auf dem letzten Tabellenplatz landeten. Oder das 3:4 in Frankfurt drei Wochen später, wo Sechzig fünf Minuten vor dem Ende noch mit 3:2 in Führung gelegen hatte. Nach diesem Spiel wurden Fredi Heiß und Wilfried Kohlars reaktiviert, aber auch die beiden Meister-Löwen konnten ihren Verein zunächst nicht aus dem Schlamassel ziehen.

Am 12. November zog der TSV 1860 die Reißleine. Fritz Langner wurde entlassen, wieder mal sprang Hans Pilz vorübergehend ein. Diesmal nur für ein Spiel, das mit 1:3 in Dortmund ebenfalls verloren ging. Kümmerliche fünf Punkte befanden sich nach 13 Spieltagen auf dem Löwen-Konto. Franz „Bimbo“ Binder übernahm das Himmelfahrtskommando. Der Österreicher war in seiner aktiven Zeit ein gefürchteter Torjäger bei Rapid Wien. Zu seinem Einstand gewannen die Löwen auch endlich wieder mal. Kohlars schoss das Tor zum 1:0-Sieg über Eintracht Braunschweig. Zur richtigen Aufholjagd bliesen die Sechziger jedoch erst zu Beginn der Rückrunde. 4:1 gegen den VfB, 3:0 gegen Hannover, 4:1 gegen Oberhausen und in Hamburg gelang beim 1:0 sogar der erste Auswärtssieg der Saison. Die Löwen-Fans strahlten wieder. Vor allem, nachdem man am 7. März auch noch den FC Bayern mit 2:1 niedergerungen hatte.

Doch mit dem Rücken zur Wand kam Pech dazu. Im Frühjahr 1970 fielen viele Spiele wegen der schlechten Witterung aus. Rot-Weiß Essen, härtester Konkurrent im Abstiegskampf, profitierte davon, weil er etliche Nachholpartien gegen Klubs hatte, für die es zum Saisonende um nichts mehr ging.

Nach dem Zwischenspurt ging auch den Löwen am Ende etwas die Luft aus. Binder stellte mit seinem Wiener Schmäh fest: „Wann da Herrgott ned wui, geht gornix.“ Ihm konnte man ja auch keinen großen Vorwurf machen. Für die Fehler, die zum Abstieg führten, ganz andere verantwortlich. Petar Radenkovic, der sich ein Jahr zuvor schon vehement gegen die Verpflichtung Langners ausgesprochen hatte, nannte die Dinge ohne Rücksicht beim Namen: „Unser Abstieg ist die logische Konsequenz langjähriger Fehlplanungen des Vorstandes. Auf die Warnungen aus der Mannschaft hat man nie gehört, auch nicht zu Beginn der Saison, als neue Fehlbesetzungen vorgenommen wurden.“

Am 30. April 1970 stand es fest, ohne Wenn und Aber: Der TSV 1860 musste runter in die Regionalliga Süd. Nach der 1:2-Niederlage im vorletzten Saisonspiel beim MSV Duisburg war auch die letzte theoretische Chance auf den Klassenverbleib dahin. Tränen flossen hinterher in der Kabine keine, der endgültige K. o. wurde von den Spielern relativ gefasst hingenommen. Die ganze Saison über hatten sie, mehr oder weniger heftig, gegen das Abstiegsgespenst angekämpft, unter der Regie von drei Trainern und einem völlig hilflosen Präsidium. Zum letzten Heimspiel gegen Rot-Weiß Essen kamen nur noch 5.000 Zuschauer ins Stadion. Wie die gesamte Saison endete es trostlos 0:0.


KURIOSES

Gefälschte Unterschrift
Nach dem Abstieg im Jahr 1970 verließ Klaus Fischer die Sechziger in Richtung Schalke 04, zuvor gab es noch einen riesigen Hickhack um den Transfer. Der TSV 1860 wollte seinen Mittelstürmer unbedingt halten, woraufhin Geschäftsführer Ludwig Maierböck sogar die Unterschrift Fischers auf einem neuen Vertrag fälschte. Der ganze Schwindel flog natürlich auf, denn es hätte sowieso nichts geholfen, da der Spieler noch nicht volljährig war (damals war man erst mit 21 volljährig!) und ohnehin die Unterschrift der Eltern benötigt hätte.

Feldwebel Langner
Fritz Langners Spitzname bei den Löwen-Spielern war „Feldwebel“. Zum einen wegen seines Kasernenhoftons auf dem Trainingsplatz, zum anderen, weil er so gern von seinen Erlebnissen aus dem 2. Weltkrieg erzählte. Seine Lieblingsgeschichte, die er nach dem Abendessen und einigen Schnäpsen bei den Spielern stets zum Besten gab, war jene, wie er in Russland „die Höhe 134 verteidigt“ hatte. Und während des Erzählens hielt Langner seine Arme stets so, als habe er ein Maschinengewehr in der Hand und dann brüllte er: „Ratatatatatata!“

Nachsitzen für Radi
Knapp 36 Jahre war Petar Radenkovic alt, als Fritz Langner Trainer bei den Sechzgern wurde. Der Radi hatte zu dieser Zeit bereits hunderte von Spielen absolviert, viele Erfolge gefeiert, aber Langner war trotzdem der Ansicht, dass er seinem Torhüter noch was beibringen müsse. Vor allem, wie man einen Ball richtig festhält.

Fitter Trainer
Nachdem Fritz Langner wegen Kreislaufbeschwerden im August 1969 während des laufenden Spielbetriebs in Kur gegangen war, besuchte ihn Präsident Franz Sackmann im Sanatorium. Langner wollte dem Löwen-Boss beweisen, dass seine Genesung voran schritt und rannte, als Sackmann wieder losfuhr, neben dessen Auto her. „Hier, Herr Präsident“, keuchte der Trainer, „sehen Sie, wie ich mithalten kann mit ihrem Wagen. Ich bin wieder fit!“


INTERVIEW MIT KLAUS FISCHER

Anpassungsschwierigkeiten hatte Klaus Fischer bei den Löwen nie. Insgesamt kam er während seiner zwei Jahre beim TSV 1860 auf 28 Treffer in 60 Bundesliga-Spielen. Nach dem Abstieg wechselte der Mittelstürmer zu Schalke 04 und startete durch. Mit insgesamt 268 Bundesligatoren liegt er in der ewigen Schützenliste hinter Gerd Müller auf Rang zwei. In der Nationalmannschaft kam der zweifache WM-Teilnehmer in 45 Spielen auf ebenso beachtliche 32 Treffer. Dazu erzielte Fischer das „Tor des Jahrhunderts“ am 16. November 1977 im Länderspiel gegen die Schweiz (4:1) per Fallrückzieher, seine Spezialität.

Die Saison 1969/70 war Ihre zweite und letzte bei den Löwen. Wie ist Ihre Erinnerung?
Klaus Fischer: Ich kann mich relativ gut an die Spielzeit erinnern, schließlich sind wir in dieser Saison aus der Bundesliga abgestiegen. Wir hatten eigentlich eine gute Mannschaft, aber mit Fritz Langner den falschen Trainer. Für mich persönlich lief’s gut. Ich habe als gerade mal 20-Jähriger 19 Treffer erzielt.

Was war für Sie das Besondere an Ihrer Zeit in München?
Fischer: Ich hatte dort die Möglichkeit, mit Größen des deutschen Fußballs wie Heiß, Wagner, Kohlars, Perusic, Radenkovic oder Grosser zusammen zu spielen. Grosser war damals für mich ein Vorbild, konnte beidbeinig dribbeln, das war sensationell. Zu dieser Zeit war 1860 noch die klare Nummer eins in München. Wir hätten normalerweise nie absteigen dürfen. Für mich waren es zwei Lehrjahre, die mir unheimlich Spaß gemacht haben. Leider mit einem bitteren Ende. Ich bin danach zu Schalke gewechselt. In Gelsenkirchen lebe ich heute noch.

Sie kamen als 18-Jähriger aus Zwiesel im bayerischen Wald nach München. Haben sie an den sofortigen Durchbruch geglaubt?
Fischer: Bis dahin hatte ich in der Jugend und in der Bezirksliga gespielt. Dass es gleich so gut läuft, hätte ich mir nicht träumen lassen. Der Posten des Mittelstürmers war durch Brunnenmeiers Wechsel in die Schweiz frei geworden. Das war sicher ein Vorteil. Kurz vor Saisonbeginn spielte ich noch ein Jugendturnier in Riccione, dort machte gerade Franz Beckenbauer Urlaub. Ich wollte mir von ihm ein Autogramm holen, doch mein damaliger Betreuer sagte: Du spielst bald in der Bundesliga gegen ihn. Und genauso kam es. Bereits vier Wochen später standen wir uns im Derby gegenüber...

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