SECHZIGMÜNCHEN.
 

Blick zurück: Saison 1977/1978.

Das Löwen-Team in der Saison 1977/1978, hinten (v. li.): Klaus Vöhringer, Alfred Rieß, Dieter Agatha, Richard Mamajewski, Alfred Herberth, Alfred Kohlhäufl. Mitte (v. li.): Trainer Heinz Lucas, Ahmet Glavovic, Hans Haunstein, Bernhard Hartmann, Manfred Eiben, Wolfgang Metzler, Jimmy Hartwig, Masseur Springer, Manager Georg Pledl. Vorne (v. li.): Anton Nachreiner, Siegfried Köstler, Jan-Hoiland Nielsen, Peter Falter, Willy Bierofka, Georg Metzger. 

Dem Aufstieg folgte in der Spielzeit 1977/1978 der sofortige Wiederabstieg. Die Experten hatten das den Löwen schon vor Saisonbeginn vorausgesagt, denn erneut stand die wirtschaftliche Konsolidierung im Vordergrund. Wenigstens in den beiden Derbys hatten die Sechzger-Fans etwas zu feiern. Besonders der 3:1-Sieg am 12. November 1977 im Olympiastadion zählte zu den wenigen Saison-Highlights. 

Sparsamkeit blieb auch nach dem Aufstieg bei den Löwen Trumpf. Obwohl alle Experten der Ansicht waren, dass die Mannschaft, die gegen Bielefeld das große Wunder vollbracht hatte, alles andere als bundesligareif sei, verpflichtete man keine Verstärkungen. Es wurden zwar drei neue Spieler hinzugeholt im Sommer, aber weder Klaus Vöhringer, Siegfried Köstler oder Wolfgang Metzler waren in der Lage, das Niveau der Mannschaft anzuheben. Im August verpflichteten die Sechzger noch Verteidiger Herbert Scheller vom 1. FC Kaiserslautern.

Trotzdem: Die Löwen-Fans waren nach siebenjähriger Pause geradezu gierig auf Bundesliga-Fußball, und das Olympiastadion war zur Saisonpremiere gegen Schalke 04 natürlich ausverkauft. Mit viel Glück retteten die Knappen ein 0:0 über die Zeit, bei den Sechzgern trat allerdings schon ein Manko deutlich zu Tage, das sie während der gesamten Saison begleiten sollte: Sie brachten auch die besten Chancen nicht im Tor unter. Erst im vierten Spiel, beim 1:2 bei Borussia Mönchengladbach, fiel der erste Treffer durch Jimmy Hartwig. Außerdem verballerten die Löwen reihenweise Elfmeter, so auch beim 0:1 in Kaiserslautern, als man die eindeutig bessere Mannschaft stellte. Heinz Lucas’ Ausspruch nach dem Spiel ist heute legendär. Auf die Frage, ob sein Team nicht einen Punkt verdient gehabt hätte, antwortete er: „Was, einen? Zwei! Mindestens …!“

Immerhin. In den letzten vier Vorrundenspielen stellte man so etwas wie eine kleine Serie auf: Keine Partie ging verloren, gegen den FC Bayern und Eintracht Braunschweig durfte man die beiden ersten Saisonsiege feiern. Trotzdem beendeten die Löwen die Vorrunde mit 8:26-Punkten auf dem letzten Platz. Zu diesem Zeitpunkt fehlten bereits sechs Zähler auf Rang 15, den die Bayern innehatten.

Trotzdem keimte im neuen Jahr nochmals Hoffnung im Lager der Sechziger auf. Vor allem, nachdem man mit 3:1 in Dortmund auch endlich den ersten Auswärtssieg feiern konnte. Dreifacher Torschütze war Erhard „Beppo“ Hofeditz, der im September vom KSV Baunatal nach München gewechselt war. Aber das Aufbäumen der Sechziger war vergebens, am Ende reichte es einfach nicht zum Klassenerhalt. Der Rückstand war nach der Halbserie zu groß. Zwar konnte man noch St. Pauli und Saarbrücken in der Tabelle überflügeln, aber der Abstand zum ersten Nichtabstiegsplatz war mit neun Punkten gewaltig.

Damit musste der TSV 1860 zum zweiten Mal in seiner Geschichte aus der Bundesliga absteigen, aber diesmal hatte man wenigstens nicht auch noch ein finanzielles Chaos zu beklagen. Im Gegenteil: Da der Verein eine relativ billige Mannschaft beschäftigte und die Fans anfangs in Massen geströmt waren (Zuschauerschnitt: 28.029), hatte sich die einjährige Bundesligazugehörigkeit trotzdem ausgezahlt. Der TSV 1860 war, man mochte es kaum glauben, auf einmal nicht nur schuldenfrei, sondern besaß sogar ein Guthaben von einer Million Mark auf der Bank.


KURIOSES

Derbysieg & Rot für Rummenigge
Es gehört zu jenen Derbys, das ein Löwen-Fan sein ganzes Leben lang nicht vergisst. Als der FC Bayern und der TSV 1860 am 12. November 1977 nach fast acht Jahren Pause zum ersten Mal wieder in der Bundesliga aufeinandertrafen, stand die Partie unter dem Motto: Not gegen ganz großes Elend. Die Bayern lagen nach 14 Spieltagen auf Rang 14, befanden sich in großer Abstiegsgefahr, die Löwen waren Letzter und noch ohne Sieg nach 14 Spielen. Erwartungsgemäß ging der FC Bayern von Dettmar Cramer durch einen Treffer von Karl-Heinz Rummenigge in der 33. Minute in Führung. Die Sechzger schlichen mit hängenden Köpfen in die Kabine. Dort aber erwartete sie ein wütender Heinz Lucas. Der Trainer schimpfte, „dass die Lampen wackelten“, wie später einer erzählte. Das hatte einen Hallo-Wach-Effekt. Bereits in der 46. Minute der Ausgleich durch Herbert Scheller, der aus 20 Metern traf. Die Bayern waren baff, die Sechzger witterten Morgenluft. Fünf Minuten vor dem Schlusspfiff überraschte Alfred Kohlhäufl Bayern-Keeper Sepp Maier mit einem Schuss aus 35 (!) Metern zum 2:1. Die Löwen-Fans tobten vor Begeisterung, der erste Saisonsieg war greifbar nah. Der absolute Höhepunkt in diesem verrückten Derby sollte jedoch erst noch folgen. In der 90. Minute rempelte Rummenigge Beppo Hofeditz im Strafraum um, Schiedsrichter Ferdinand Biwersi entschied auf Elfmeter für 1860. Als Hofeditz aufstand, verpasste ihm Rummenigge eine Watschn. Klarer Fall. Platzverweis für den Bayern-Stürmer! Aber warum hatte der Kalle den Beppo geohrfeigt? Rummenigges Frau Martina verriet es später der Presse: „Hofeditz hatte meinen Mann ein rotes Schwein genannt!“ Den Elfmeter verwandelte übrigens Herbert Scheller zum 3:1-Endstand von 3:1. Damit war der erste von insgesamt nur sieben Saisonsiegen unter Dach und Fach.

Sensation beim Radi-Abschied
Über sieben Jahre hatte es gedauert, ehe Petar Radenkovic, der nach dem Abstieg 1970 seine Laufbahn beendet hatte, endlich sein damals versprochenes Abschiedsspiel erhalten hatte. Aber die Warterei hatte sich gelohnt. Denn was sich am 8. Juli 1977 im Olympiastadion abspielte, das kam durchaus einer Sensation gleich. Die Meister-Löwen von 1966 traten gegen die einen Monat zuvor aufgestiegene Truppe von Heinz Lucas an. 30.000 Zuschauer wussten nach Spielende nicht, ob sie lachen oder weinen sollten. Denn ihre Lieblinge von einst, alle Ende 30 oder Anfang 40, spielten die aktuellen Löwen in Grund und Boden, gewannen verdient und deutlich mit 4:1. Zur Ehrenrettung der Verlierer muss allerdings gesagt werden, dass sie gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und noch überhaupt keine Kraft und Kondition besaßen. Die Alten dagegen hatten sich wochenlang auf dieses Spiel vorbereitet, viele Tests in der Münchner Umgebung bestritten und waren, gemäß ihren Möglichkeiten, auf den Punkt fit. Trotzdem: Am fußballerischen Klassenunterschied zwischen den beiden Teams gab’s nichts zu rütteln. Für den Radi war es natürlich ein tolles Fest. Er bot nochmal sein gesamtes Repertoire an Showeinlagen, aber auch seine Reflexe riefen bei den Zuschauern immer noch uneingeschränkte Bewunderung hervor. Radenkovic grinste hinterher: „Für einen 42-Jährigen mit einem Bäuchlein war das nicht schlecht, oder?“ Der Torwart gratulierte besonders Timo Konietzka und Otto Luttrop, die mit je zwei Toren (für die Gegenseite traf Jan-Hoiland Nielsen) den Sieg perfekt gemacht hatten. Das 2:1 erzielte Luttrop übrigens, wie in alten Zeiten, mit einem „Hammer“ aus 25 Metern.

Jimmy und das neue Auto
Nach dem Abstieg der Löwen verließ Jimmy Hartwig, der eine außerordentlich gute Saison hingelegt und als Abwehrspieler beachtliche sechs Treffer erzielt hatte, die Löwen. Er wechselte für 700.000 Mark Ablöse zum Hamburger SV. Hartwig, der einst von Max Merkel verhöhnt und verspottet worden war und damals sein Selbstvertrauen völlig verloren hatte, war unter der Führung von Heinz Lucas zu einem Klasse-Bundesligaspieler herangereift. Lucas behandelte Hartwig auch mit Respekt, nannte ihn als einziger nicht Jimmy, sondern sprach ihn stets mit seinem richtigen Vornamen, nämlich William, an. Aber auch zu Lucas’ Zeiten besaß Hartwig noch genug Flausen im Kopf, war für fast jeden Schmarrn zu haben, machte Sprüche und lebte nicht immer vorbildlich für einen Profi-Fußballer. Aber man konnte sich auf ihn verlassen. Wie eine Episode aus dem Sommer 1978 belegt. Die Löwen nahmen nach Ende der Bundesligasaison an der sogenannten Überbrückungsrunde mit internationalen Gegnern teil und hatten vor dem letzten Spiel in Nizza große Mühe, noch elf Mann zusammenzutrommeln. Viele befanden sich bereits in Urlaub. Da traf Manager Hans Ettlinger zufälligerweise Hartwig auf der Geschäftsstelle und fragte ihn: „Was is? Fliagst mit uns mit?“ Hartwig hätte nicht mehr gemusst, da sein Vertrag schon ausgelaufen war. Und tatsächlich. Hartwig war zur Stelle, fuhr mit einem dicken Mercedes in Riem vor. Ettlinger war beeindruckt. „Is des deiner?“, fragte er. „Klar“, antwortete Hartwig, „frisch gekauft.“ Später erzählte Ettlinger: „Als ich auf den Schlüsselanhänger blickte, stand da: Hertz Autovermietung drauf. So war er halt, der Jimmy!“


INTERVIEW MIT HERBERT SCHELLER

Herbert Scheller kam im August 1977 vom 1. FC Kaiserslautern zu den Löwen. Vermittelt hatte ihn der damalige Trainer der Roten Teufel, Erich Ribbeck, weil der Verteidiger bei ihm meist auf der Bank saß. Bei den Löwen blühte Scheller auf – vor allem in wichtigen Spielen. Bis heute ist der Verteidiger zusammen mit Horst Heldt der erfolgreichste Derby-Torschütze (je drei Treffer) in der Bundesligageschichte des TSV 1860 München. Insgesamt absolvierte er von 1977 bis 1981 92 Partien im Oberhaus (12 Tore) und 38 in der 2. Bundesliga (1). Nach seiner aktiven Karriere kehrte Scheller nach München zurück.

Sie kamen erst einige Zeit nach Saisonbeginn 1977/1978. Warum?
Herbert Scheller: Ich spielte damals beim 1. FC Kaiserslautern. Nachdem ich die ersten Spieltage nur auf der Bank saß, wollte ich weg. Ich laß im kicker, dass Sechzig einen Abwehrspieler sucht. Da bin ich zu Trainer Erich Ribbeck gegangen, habe ihm davon erzählt. Er sagte, dass er 1860-Trainer Heinz Lucas gut kenne und ihn für mich anrufen würde. Lautern wollte mich eigentlich nach Offenbach ausleihen, ich fuhr aber zu einem zweitägigen Probetraining nach München. Zehn Tage später hatte ich einen neuen Verein, spielte gegen Gladbach gleich mein erstes Spiel für die Löwen. Mein Gegenspieler war kein geringerer als Jupp Heynckes.

Aber es kam noch besser. Kurze Zeit später stand das Derby gegen den FC Bayern auf dem Programm. War es für Sie als Neuling etwas Besonderes?
Scheller: Es war für mich ein absolutes Highlight. Acht Tage vorher ging‘s in der Stadt los. Wir waren mit 1:11 Punkten gestartet, gingen als klarer Außenseiter ins Derby und wurden vielleicht auch unterschätzt. Für mich war es das erste Mal, dass ich vor 70.000 Zuschauern spielen durfte. Und dann gelangen mir gleich zwei Tore. Beim ersten hatte Schwarzenbeck eine Flanke rausgeköpft. Ich nahm den Ball direkt und traf ins lange Eck. Der zweite Treffer war ein Elfmeter in der 90. Minute. Da führten wir bereits mit 2:1.

Dem Strafstoß ging eine Szene voraus, die in die Derby-Annalen eingegangen ist…
Scheller (lacht!): Ja, Kalle Rummenigge hatte Beppo Hofeditz gefoult. Anschließend sind die Beiden aneinander geraten. Angeblich hat der Beppo „Du rote Sau“ zu Rummenigge gesagt, worauf der ihm eine Ohrfeige gab und dafür vom Platz flog. Wir gewannen unser erstes Saisonspiel mit 3:1. Trotzdem hat es in dieser Spielzeit nicht zum Klassenerhalt gereicht. Wir waren einfach zu schwach gewesen.

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